Die 5 Plage
sein Mund verzog sich zu einer wütenden Grimasse. »Was zum Teufel reden Sie da eigentlich?«
»Dann will ich es einmal anders formulieren«, entgegnete Kramer. Mit seiner Körpersprache und Ausdrucksweise vermittelte er den Geschworenen die Botschaft: Ich tue hier nur meinen Job. Ich will diesem Mann nicht schaden. »Wissen Sie, warum Ihr Sohn in Bett Nummer zwei gefunden wurde?«
»Keine Ahnung.«
»Nun, wegen des Fernsehers. Josh stand aus seinem Bett am Fenster auf und schob seinen Infusionsständer hinüber zu Bett Nummer zwei, um dort Spielfilme sehen zu können - Augenblick...« Kramer konsultierte seine Notizen. »Er hat einen Film auf Showtime bestellt.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Das ist mir durchaus bewusst«, sagte Kramer. Seine Stimme war voller Mitgefühl, fast väterlich, und zugleich dachte er - wusste er -, dass der Zeuge ihm nicht folgen konnte. Er hatte noch immer keine Ahnung, was mit seinem Sohn passiert war und warum er gestorben war.
»Mr. Friedlander, Sie müssen das verstehen. Josh hat David Lewis’ Insulin irrtümlich erhalten. Die Angaben zu David Lewis’ Entlassung waren in den Anweisungen für die Krankenschwestern noch nicht berücksichtigt. Das kann bei einem Krankenhaus von der Größe des Municipal durchaus passieren. Aber ich möchte Sie fragen: Muss nicht jeder unvoreingenommene Beobachter Verständnis dafür haben, dass ein solcher Irrtum der Schwester nicht unbedingt auffallen würde?
David und Josh waren ungefähr gleich alt. Die Schwester brachte Insulin für den schlafenden Patienten in Bett zwei und injizierte es in den Infusionsbeutel an diesem Bett. Wäre Josh in seinem eigenen Bett geblieben...«
Kramer fuhr herum, als von den Zuschauerbänken ein gequälter Aufschrei ertönte. Eine Frau in mittleren Jahren war aufgesprungen. Die schwarzen Kleider schienen viel zu weit für ihren schmächtigen Körper. » Neiin! «, heulte sie auf und vergrub das Gesicht in den Händen.
Im Zeugenstand streckte Friedlander die Hand nach ihr aus. »Eleanor! Eleanor, hör nicht auf ihn. Er lügt! Es war nicht Joshies Schuld...«
Lawrence Kramer ignorierte das anschwellende Gemurmel und die wiederholten Schläge des Richterhammers. Respektvoll senkte er den Kopf.
»Es tut uns sehr leid, Mr. Friedlander«, sagte er. »Wir alle fühlen mit Ihnen und Ihrer Familie.«
30
Es war kurz nach acht Uhr, als ich schnaufend den Potrero Hill hinaufjoggte, auf den letzten paar hundert Metern meiner abendlichen Runde.
Dabei arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren. Wie ein Film liefen die Ermittlungen der letzten Tage vor meinem geistigen Auge ab - ich sah die Cops, die sich in meinem Büro die Klinke in die Hand gaben, sah mich, wie ich Ratschläge und Anweisungen erteilte, Papierkram erledigte, Haft- und Durchsuchungsbefehle beantragte, Streitereien schlichtete und mich tierisch über den ganzen unnötigen Stress aufregte.
Normalerweise hat das rhythmische Klatschen meiner Gummisohlen auf dem Asphalt eine beruhigende Wirkung auf mich, aber die blieb an diesem Abend leider aus.
Und das hatte ich Chief Tracchio zu verdanken.
Seine Strafpredigt, oder was immer es gewesen sein mochte, lag mir immer noch im Magen.
Während meine Beine gegen eine Wand aus kaltem Wind ankämpften, zog ich im Nachhinein jede einzelne Entscheidung in Zweifel, die ich im Caddy-Girl-Fall getroffen hatte. Ich fürchtete, alle in mich gesetzten Erwartungen zu enttäuschen, einschließlich meiner eigenen.
Martha schien von meinen Sorgen gänzlich unberührt. Munter rannte sie voraus und kam immer wieder zurück, um mich bellend zu umkreisen. Dises Verhalten liegt Border-Collies nun mal im Blut.
»Lass das, Boo«, keuchte ich, doch sie hörte nicht auf, mich zu ›hüten‹. Ich war ein hinterherhinkendes Lamm, und sie war mein Hütehund.
Zwanzig Minuten später war ich wieder in meinen eigenen vier Wänden, frisch geduscht und nach Kamillen-Shampoo duftend.
Ich schlüpfte in meinen kuscheligen blauen Lieblings-Pyjama, legte eine CD von Reverend Al Green auf und holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Der erste eiskalte Schluck schmeckte himmlisch.
Auf dem Herd köchelte mein Lieblings-Pastagericht vor sich hin, und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich mich halbwegs menschlich - da klingelte es an der Tür.
»Wer ist da?«, rief ich in die Gegensprechanlage, worauf eine freundliche Stimme antwortete: »Lindsay, ich bin’s! Darf ich bitte raufkommen?«
Ich drückte auf den Summer, um Yuki hereinzulassen,
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