Die 5 Plage
der Intensivstation im dritten Stock. Sie ist eine Kämpfernatur; das ist die gute Nachricht.«
Yuki warf das Handy auf den Sitz neben sich. In ihrem Kopf überschlugen sich Bilder und Worte.
Ein Schlaganfall?
Vor vier Stunden hatte ihre Mutter noch Eis gegessen. Sie hatte fröhlich geplaudert, hatte Witze gemacht. Sie war topfit gewesen!
Yuki zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zuzuwenden, und merkte zu spät, dass sie ihre Ausfahrt verpasst hatte. »Mist!«
Voller Panik und Verzweiflung raste sie die I-280 entlang bis zum Ende des Highways an der Berry Street. Sie schoss bei Gelb über die Kreuzung und bog scharf nach links in die Third Street ab.
Mit pochendem Herzen jagte Yuki ihren kleinen Wagen nach Norden in Richtung Market Street. Das war die langsamere Strecke - mehr Ampeln, mehr Fußgängerüberwege -, aber es war die einzige Möglichkeit, die ihr blieb.
Im Geiste ging Yuki ihr kurzes Telefonat mit Dr. Pierce noch einmal durch. Hatte sie ihn richtig verstanden? Sie lässt sich nicht so leicht unterkriegen , hatte er gesagt.
Tränen traten ihr in die Augen. Ihre Mutter war stark. Das war sie immer schon gewesen. Ihre Mutter war eine Kämpferin. Selbst wenn Keiko gelähmt wäre... Diese Frau gab sich nie geschlagen.
Yuki wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.
Rasch rief sie sich die Abfolge der Querstraßen und Ampeln zwischen ihrem jetzigen Standort und dem San Francisco Municipal Hospital ins Gedächtnis, und dann trat sie das Gaspedal durch.
Halt durch, Mommy. Ich komme.
32
Yuki kämpfte gegen die aufsteigende Panik an, als sie im dritten Stock des Municipal Hospital aus dem Aufzug trat. Den Pfeilen folgend, bog sie um Ecken und stieß Türen auf, bis sie den Wartebereich der Intensivstation und die Stationszentrale gefunden hatte.
»Ich möchte Dr. Pierce sprechen«, beschied sie die Schwester hinter dem Tresen knapp.
»Und Sie sind?«
Yuki nannte ihren Namen und wartete, bis Dr. Pierce in den Wartebereich kam. Sein wettergegerbtes Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen, als er Yuki zu zwei kleinen Stühlen mit gerader Lehne führte und sie bat, Platz zu nehmen.
»Im Moment kann ich Ihnen nicht viel sagen«, gestand der Arzt. »Höchstwahrscheinlich hat sich Plaque von einer Arterienwand gelöst und die Blutzufuhr zum Gehirn blockiert. Sie bekommt Gerinnungshemmer...«
»Sagen Sie es mir ganz offen. Wie stehen ihre Chancen?«
»Wir werden es bald wissen«, erwiderte Pierce. »Ich weiß, es ist schwer...«
»Ich muss sie sehen, Dr. Pierce. Bitte .« Sie streckte die Hand aus und umklammerte das Handgelenk des Arztes. » Bitte. «
»Dreißig Sekunden. Das ist alles, was ich Ihnen gewähren kann.«
Yuki folgte dem Arzt durch die Schwingtüren zu dem mit Vorhängen abgeteilten Bett, in dem Keiko lag. Drähte und Infusionsschläuche zogen sich von ihrem Körper zu Maschinen, die ihr Krankenlager umstanden wie besorgte Angehörige.
»Sie ist nicht bei Bewusstsein«, sagte Dr. Pierce. »Aber sie hat keine Schmerzen.«
Woher wollen Sie das denn wissen? , hätte Yuki Dr. Pierce am liebsten angeschrien.
»Kann sie mich hören?«, fragte sie stattdessen.
»Ich bezweifle es, Yuki, aber möglich ist es.«
Yuki beugte sich über ihre Mutter, bis ihr Mund ganz dicht an Keikos Ohr war, und sagte in eindringlichem Ton: »Mommy, ich bin’s. Ich bin hier bei dir. Halt durch, Mommy. Ich liebe dich.«
Sie hörte Dr. Pierce’ Stimme, er schien meilenweit entfernt. »Möchten Sie draußen warten? Yuki? Wenn ich Sie da draußen nicht finde, rufe ich Sie auf Ihrem Handy an...«
»Ich gehe nirgendwohin. Ich werde direkt vor der Tür warten. Ich gehe unter keinen Umständen von hier weg.«
Blind wankte Yuki aus der Intensivstation und bezog ihren Posten auf einem Stuhl.
Dort saß sie und blickte starr vor sich hin. Ihre Nerven brannten wie Feuer, und alle ihre bangen Gedanken verschmolzen zu einem.
Es gab nur eine Antwort auf die Frage, wie diese Sache ausgehen würde.
Ihre Mom würde es schaffen.
33
Keiko Castellano hatte noch nie in ihrem Leben so viel Angst gehabt. Sie spürte den Einstich einer Nadel in ihrem Handrücken.
Dann hörte sie ein rhythmisches Piepsen - und anschließend das Surren von Maschinen.
Um sie herum Gemurmel von Stimmen, aber das war es nicht, was sie beunruhigte.
Schlagartig kam ihr die Erkenntnis. Sie war im Krankenhaus. Irgendetwas Ernstes war ihr zugestoßen - sie spürte einen Druck im Kopf - es war, als klemme er ihre
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