Die 500 (German Edition)
nichts vor.«
»Stimmt es, dass Sie den Reporter umgebracht haben?«, fragte ich.
»Pearson?« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Narbe am Hals, die mir schon in Harvard aufgefallen war. Ich hörte ein Knirschen in seiner weichen Stimme. »Ich habe damals etwas verloren. Das will ich zurück. Sie ahnen ja gar nicht, wie gefährlich das Spiel ist, das Sie hier spielen. Reden Sie einfach, Mike. Wenn nicht, wird es wirklich hässlich für Sie.«
»Wollen Sie mich etwa foltern?«, fragte ich
»Es gibt so viele Methoden«, sagte er. »Wahrscheinlich spuken da irgendwelche albernen Vorstellungen in Ihrem Kopf herum. Von Streckbänken und solchen Dingen.«
»Ich hatte mehr an Marcus gedacht, wie er mir eine Autobatterie an die Eier klemmt«, sagte ich.
Henry seufzte. »Vor der Polizei brauchen Sie jedenfalls keine Angst zu haben. Lebenslänglich oder die Todesspritze wäre der Weg des geringsten Widerstands. Wenn ich es auf exotische Blutbäder abgesehen hätte, dann würde ich Sie Radomir überlassen.«
»Dragov i ´ c ?«
»Ja. Ich nehme an, Sie waren zu beschäftigt in letzter Zeit, um diesen Aspekt wahrzunehmen. Sie haben die Tochter des Schlächters von Bosnien getötet.«
»Dann ist Dragov i ´ c ein Kriegsverbrecher?«
»Er ist der Kriegsverbrecher. Nach dem Ende des Krieges hat er von Warlord auf Privatunternehmer umgesattelt und sich an der Harvard Business School fortgebildet. Er war ganz vernarrt in das, was man Optimierungsstrategien nennt, und hat das Konzept für seine Einschüchterungspraxis übernommen. Im Economist hatte er gelesen, dass ein neunzehn jähriger Warlord in Liberia eine Vorliebe dafür hat, die Herzen seiner Widersacher zu verspeisen. Er glaubt, das würde ihn unsichtbar oder unbesiegbar oder so was machen. Radomir erkannte Synergieeffekte zwischen dieser Taktik und seinem expandierenden Syndikat für Menschenhandel. Er lud alle seine Konkurrenten zum Abendessen ein. Bis auf einen. Vor den Augen seiner Gäste aß er das Herz des Abwesenden, der früher sein Hauptkonkurrent gewesen war.«
»Vakuumgegart«, ergänzte Marcus.
»Für meinen Geschmack etwas theatralisch«, sagte Henry. »Aber es erfüllte seinen Zweck. Dragov i ´ c schrieb seine Ab schlussarbeit über psychopathische Gewalt. Torquemada, Wu Zetian, Saddam Hussein, er hat sich nur die Größten rausgepickt. Jetzt ist er in den Vereinigten Staaten und sucht nach dem Mann, der seine Tochter getötet hat. Nach Ihnen, Mike. Welche Methoden er für Sie vorgesehen hat, übersteigt wohl unser aller Vorstellungskraft.«
»Er ist hier, trotz der drohenden Auslieferung?«, sagte ich. »Er würde doch nie riskieren, in die Staaten zu kommen. Er könnte vor Gericht gestellt werden. Deshalb haben Sie mich doch nach Kolumbien mitgenommen.«
»Ich dachte mir schon, dass Sie sich das zusammengereimt haben. Aber Sie haben recht. Nur ein Wahnsinniger würde sein Imperium riskieren, um seine Tochter zu rächen, die er auch noch für eine Hure hält. Dragov i ´ c ist allerdings ein interessanter Fall. Marcus und ich sind vorbildliche Exemplare des amerikanischen Homo oeconomicus . Eine Sache kann noch so ausarten, wir behalten immer unsere Interessen im Auge. Dragov i ´ c ist komplizierter. Er lebt nach den Gesetzen von Blut und Ehre. Er ist irrational, der reinste Horror für die Kalkulation unserer Betriebskosten. Einer, mit dem man nicht handeln kann. Der wird jeden Penny, den er jemals verdient hat, sein Leben, einfach alles riskieren, um Sie zu kriegen. Das ist für ihn der einzige Weg, seine Ehre wiederherzustellen: Ihre Leiche.«
»Drohungen bringen Sie auch nicht weiter«, sagte ich. »Haskins hat mir nicht alles erzählt.«
»Es ist so leicht, den harten Burschen zu spielen, Mike. Dragov i ´ c nimmt die Axt, wir bevorzugen das Skalpell. Wollen Sie wirklich das Leben der Menschen riskieren, die Sie lieben?«
»Annie ist nicht mehr da, meine Mutter ist tot. Wer bleibt da noch?«
»6251 Dominion Drive«, sagte Henry. Die Adresse meines Vaters.
»Das ist der Kerl, der meine Familie im Stich gelassen hat. Machen Sie Ihre Hausaufgaben nicht mehr richtig? Nichts schert mich weniger, als was mit dem passiert.« Die Einstellung zu meinem Vater war seit seiner Entlassung nicht mehr ganz so hart, aber das konnte Henry nicht wissen.
»Ich habe Sie schon Ihr Leben lang in der Hand, Mike. Sie sind gerade dabei, das endlich zu begreifen. Deshalb habe ich Sie aus der Uni geholt. Sagen Sie mir eins, warum sollte sich ein
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