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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Quirk
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von Marcus’ Taser. Henry hatte mehrere Sekretärinnen, aber Margaret stand schon seit Jahrzehnten in seinen Diensten. Sie musste Bescheid wissen, mein Zustand brachte sie nicht mehr aus der Fassung, als wenn ich zwei verschiedene Socken getragen hätte.
    »Wasser«, sagte ich.
    »Ich nehme eine Cola«, sagte Henry.
    »Für mich nichts, danke«, sagte Marcus.
    Eine Minute später kam Margaret mit den Getränken zurück. Sie stellte ein hohes Glas Eiswasser vor mir auf den Konferenztisch. Nichts Außergewöhnliches: eine geschäftliche Besprechung mit Geiselnahme.
    »Nimm ihm die Dinger ab«, sagte Henry zu Marcus. Er befreite mich von den Handschellen. Henry deutete auf einen Stuhl am Tisch. Hier fanden alle seine Besprechungen statt. Ich setzte mich.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte ich.
    »Ganz einfach«, sagte er und tätschelte meine Hand. »Ich will Sie zurück. Gut, Sie haben versucht, den Helden zu spielen. Das ist nur zu verständlich. Wie ich Ihnen gesagt habe: Die meisten Menschen halten sich für rechtschaffen, bis sie – wie Sie gerade – den wirklichen Preis für Rechtschaffenheit kennenlernen.
    Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus, dass Sie mich abservieren wollten. Als ich so alt war wie Sie, habe ich das Gleiche versucht. Ich wollte auch meine Bosse aus dem Weg schaffen und selbst den Thron besteigen. Nur dass ich es geschafft habe«, sagte er. »Vieles an Ihnen, Mike, erinnert mich an mich selbst. Wann immer jemand – und es gibt nicht viele hier, die Bescheid wissen – die Dimensionen unserer Bemühungen begreift, ist die erste Reaktion immer die gleiche: Er will fliehen, oder er will uns aufhalten. Die Menschen glauben, dass da ihre Charakterstärke am Werk ist, aber in Wahrheit ist es nur Angst, Unentschlossenheit, fehlende Willenskraft.«
    »Und worum genau geht es da, bei Ihren Bemühungen?«, fragte ich.
    »Sie sind ein schlauer Bursche. Ich bin sicher, das wissen Sie schon. Ich habe die Hauptstadt in der Hand«, sagte Henry. »Ich habe jeden Mann und jede Frau, die hier was zu sagen haben, einkassiert. Ich habe sie gesammelt wie Baseballkarten. Früher war alles so einfach. Wenn man einen Mann erwischte, wie er seine Frau betrog oder zehntausend Dollar Schmiergeld einsackte, hatte man ihn. Aber was kann heute noch schockieren? Ein untreuer Senator gibt eine Pressekonferenz, geht einen Monat lang in die Kirche, und schon darf er wieder mitspielen. Eine Schande, wirklich. Wir leben in einer verdorbenen Welt. Ich mag die harte Gangart nicht besonders. Aber da sich nun mal niemand mehr über irgendwas empören kann, mussten wir den Einsatz erhöhen und die Umstände, mit denen wir unsere Zielobjekte umgarnen, etwas forcieren.
    Im Grunde bin ich die Regierung. Ich habe die ganze Macht, ohne mich um den alltäglichen Irrsinn kümmern zu müssen. Wer hat schon Zeit für Details?«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr fort.
    »Ich habe diese Vision sehr lange verfolgt, und Haskins sollte mein letzter Puzzlestein sein. Die Dinge entwickelten sich etwas anders, als von mir geplant, aber ich bin sicher, sein Ersatzmann am Obersten Gericht wird zugänglicher sein. Als unser Mitarbeiter haben Sie an den Früchten dieser Vision teilhaben können. Ihre Neugier, woher all das Geld kam, schien mir nie sonderlich ausgeprägt. Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken, Mike. Es wird Zeit, dass Sie sich auch mal die Hände schmutzig machen.«
    »Und wenn ich Nein sage?«
    Henry kicherte leise. »Anscheinend sind Sie immer noch ein bisschen verwirrt. ›Nein‹ ist keine Option mehr. Es geht nicht mehr um ja oder nein. Es kommt die Zeit, da werden Sie darum betteln, dass wir Sie wieder aufnehmen. Jeder bricht irgendwann zusammen.« Er schaute zu Marcus, der den Blick senkte. Welchen jahrzehntealten Hebel hatte Henry wohl bei ihm angewandt? »Die einzige Frage«, fuhr Henry fort, »ist die, wie viel Druck wir ausüben müssen.«
    »Drohen, mich umzubringen, zum Beispiel?«
    Henry schien enttäuscht zu sein. »Das fällt den Leuten immer als Erstes ein, und es zeugt von mangelnder Vorstellungs kraft. Das Angstkontinuum des Menschen bietet einige Optio nen, die den Tod leicht in den Schatten stellen. Die meisten würden das bestreiten, aber sie würden eher sterben, als Verrat oder Scham zu ertragen. Oder dass einem geliebten Menschen Schmerzen zugefügt werden. Wahrscheinlich sogar öffentliches Gerede. Das ist nur eine Frage der schrittweisen Anwendung von … Anreizen, so nennen wir das.

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