Die 500 (German Edition)
draußen die auf der Liste notierte Büronummer von Daniel Lucas an. Wie erwartet, meldete sich Carolyn. »Omnitek Consulting, das Büro von Daniel Lucas.«
Ich trennte die Verbindung und dachte eine Minute nach. Ich war gerade auf Marcus’ Decknamen gestoßen.
Ich schaute mir noch mal die Namen an: Matthews und Lucas. Sie kamen mir irgendwie bekannt vor. Es dauerte ein paar Minuten, dann machte es klick. Die Decknamen folgten einem Muster. Sie waren Abwandlungen von Namen aus den Evangelien: aus Matthew wurde Matthews, aus Luke wurde Lucas, so wie Mark zu Marcus werden konnte.
Ich hatte ein paarmal danebengelangt, bevor ich darauf gekommen war, war aber trotzdem ziemlich stolz auf mich. Ich machte Kopien von den Spesenabrechnungen und gab die Originale zurück in die hausinterne Post. Dann ging ich wieder ein bisschen spazieren und rief die Restaurants an, die Marcus unter seinen Decknamen besucht hatte. Nichts.
Ich bin ein geduldiger Mensch. Ich würde einfach so lange weitermachen, bis ich ihn ausgeräuchert hatte.
Ich legte es geradezu darauf an, erwischt zu werden. Sie joggte auf der Mount Pleasant Street vor mir her, als ich nach der Arbeit auf dem Heimweg war. Seit mindestens fünfzehn Sekunden schaute ich sie bereits an. Jemanden anzustarren war eigentlich nicht meine Art, aber das war ein Sonderfall: eine gesunde weibliche Gestalt mit perfekten Proportionen, die mit wippendem Pferdeschwanz vor mir herlief.
Ich bog um eine Ecke und ging in eine andere Rich tung weiter, froh, dass sie mich nicht beim Gaffen ertappt und zur Rede gestellt hatte. Ich drehte mich noch einmal um und sah, dass sie stehen geblieben war und mich anschaute.
»Mike?«, hörte ich sie rufen. »Mike Ford?«
Erst jetzt erkannte ich sie: Irin Dragov i ´ c in schwarzen Runningtights.
»Ich will Sie nicht aufhalten«, sagte ich.
»Ich kann sowieso nicht mehr«, sagte sie, beugte sich vor und umfasste ihr linkes Kie. »Hab mir mal beim Fußball in der Schule das Kreuzband gerissen. Sobald es kalt wird, tut es weh.«
»Tut mir leid.«
»Welche Richtung gehen Sie?«, fragte sie.
Ich zeigte in die Mount Pleasant Street.
»Kann ich Sie ein Stück begleiten?«, fragte sie.
»Klar.«
Wir gingen auf mein Haus zu. Sie entschuldigte sich für ihre Kleinmädchennummer vom Strand in Kolumbien. Sie sagte, ihre Freundinnen hätten sie dazu angestiftet, normalerweise sei sie ein schüchternes Mädchen, und sie habe es wohl ein bisschen übertrieben.
Schon vergessen, sagte ich.
»Wo erwische ich hier am besten ein Taxi?«, fragte sie und schaute die Mount Pleasant Street zurück. Wir waren noch einen Block von meinem Haus entfernt. Gegenüber stand mein Jeep.
Ich hatte das Gefühl, dass dieses Zusammentreffen nicht ganz so zufälllig war, wie sie vorgab, aber ohne die Flittchenmasche war sie eigentlich ganz nett: lustig und unprätentiös.
Seit man mich von Rados Fall abgezogen und ich die Audiodatei abgehört hatte, gingen mir jede Menge Fragen zu den Geschäften des Serben durch den Kopf. Sie hatte einen privilegierten Blick auf die Geschäfte ihres Vaters, und sie hatte die Angewohnheit, Menschen auszuhorchen, was ich am Strand in Kolumbien ja am eigenen Leib erfahren hatte. Eine kleine Plauderei mit ihr wäre eine gute Gelegenheit, zur Abwechslung mal sie auszuhorchen.
Außerdem war es ein Akt der Ritterlichkeit, sie nach Hause zu bringen. Ich fuhr sie also zu ihrem Haus in George town.
Ich hätte sie einfach absetzen können, aber als ich vor ihrem Haus anhielt (ein kleines, von ihrem Vater bezahltes Ko lonialhaus, natürlich ohne Mitbewohner), gab sie mir schließlich einen Hinweis darauf, was sie im Schilde führte.
»Der Fall meines Vaters ist ein bisschen kompliziert«, sagte sie. »Es geht um mehr als um Steuerschlupflöcher für seine Im- und Exportgeschäfte.«
»Ist das eine Feststellung oder eine Frage?«
»Können wir reden?«
»Klar«, sagte ich.
Sie beobachtete argwöhnisch die Straße.
»Drinnen?«
Ich schaute von ihren koketten Augen zum Haus. Keine gute Idee. Erstens wegen Annie – obwohl wir uns wegen unserer Arbeitszeiten die letzten beiden Wochen kaum gesehen hatten – und zweitens, weil mir meine Bosse zu verstehen ge geben hatten, mich von dem Fall fernzuhalten. Angesichts des sen wäre ich gut beraten gewesen, mich nicht mit der Tochter eines Mannes einzulassen, der zwielichtige Geschäfte machte und geschickt im Umgang mit Messern war.
»Warum nicht?«, sagte ich.
Ich meine, warum sollte ich das
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