Die 500 (German Edition)
hatte ich den Verdacht, dass Marcus in der Nähe war.
Wenn Irin ihre Verführungsnummer abzog, rechnete ich mir aus, dann müssten sie und Haskins ziemlich nervös und leicht zu erschrecken sein. Ich klaubte also eine Handvoll Kiesel vom Boden auf und warf einen auf das Haus. Er prallte von den Schindeln der zweistöckigen Blockhütte ab. Der nächste traf klirrend ein Fenster. Ich wartete auf eine Reaktion, aber es ging kein Licht im Erdgeschoss an, und von den Außenscheinwerfern leuchtete auch keiner auf.
Nun, ich hatte meine Schuldigkeit getan. Ich konnte mir sagen, dass ich es zumindest versucht hatte. Warum also mein Abendessen sausen lassen? Für das, was passieren konnte, war schließlich nicht ich verantwortlich. Was konnte ich noch tun? In die Hütte reinmarschieren und mich als kleines Rädchen in Henrys Verschwörung outen? Nein. Ich hatte nur noch eine Option: abhauen und den Dingen ihren Lauf lassen.
Wir machen alle Kompromisse, um ans Ziel unserer Wünsche zu kommen. Shenandoah-Kalbfleisch, beheizte Badezimmerfliesen, eine Freundin, die aussah, als hätte ich sie in einem edlen Modekatalog bestellt – wollte ich mir mein glückliches kleines Leben vermasseln, weil ich versuchte, das Richtige zu tun?
Keine Chance. Ich war kein Held, ich wollte mich einfach um meinen eigenen Kram kümmern und …
Halt. Was machte ich jetzt? Ich kann mich nicht mal dran erinnern, eine Entscheidung getroffen zu haben. Im Gegenteil, ich glaubte, mich dagegen entschieden zu haben, das Haus zu betreten. Aber ich hatte mich bereits in Bewegung gesetzt. Im Geist schlug ich mir mit der Faust gegen die Stirn. Scheiße. Die Zweige schlugen mir gegen die Beine, als ich mich dem Haus näherte.
Offensichtlich war ich doch ein anständigerer Bursche, als ich dachte, und wollte wie der verdammte Sheriff in die Stadt einreiten, obwohl ich glaubte, meine Seele an Davies verpfändet zu haben. Wie auch immer, jedenfalls würden mich meine guten Absichten den Kopf kosten, und darüber war ich alles andere als glücklich.
Aber es war noch nicht alles verloren. Ich klopfte an die Hintertür, dreimal, dann wieder dreimal, diesmal lauter. Wir nannten das Klingelputzen als Kinder. Man klingelte und machte sich dann aus dem Staub.
Ich verließ schnell die Veranda. Keine Reaktion. Dann hörte ich über mir, wie Haskins Irin anschnauzte. Ich schaute nach oben. Haskins stand an einem Fenster im ersten Stock und schaute hinaus, konnte mich von da aber nicht sehen. Er hielt eine Schrotflinte in der Hand, er schien nervös zu sein. Irin befand sich in höchster Gefahr. Die schlimmsten Befürchtungen, die ich während Marcus’ und Henrys Unterhaltung gehabt hatte, bestätigten sich nun.
Ich hätte durch eins der Fenster an der Rückseite des Hauses ins Innere gelangen können. So verlockend das auch ist, das Problem für den Einbrecher sind die Scheiben. Während man sich durch die Öffnung quetscht, schlitzt man sich vor lauter Nervosität unweigerlich den Arm oder das Bein auf.
Hinter einem Stapel Feuerholz schaute der Griff einer Axt hervor. Damit müsste es gehen. Der leichteste Weg hinein ist nicht, die Tür einzuschlagen – das dauert mindestens fünf Minuten, wenn man nicht die passende Brechstange zur Hand hat. Man knackt das Schloss.
Ich versuchte, an nichts anderes zu denken als an die technischen Details für einen sauberen Einbruch, um zu verdrängen, wie hirnverbrannt meine Unternehmung eigentlich war, und daran, was auf meine unausweichliche Bloßstellung als Einbrecher folgen würde.
Ich klemmte die Schneide hinter das Gehäuse des Türschlosses, schlug zweimal mit dem Handballen darauf, dann saß sie fest. Ich umfasste den Griff mit beiden Händen, drehte einmal ruckartig, und der Zylinder segelte in den Matsch vor der Veranda. Dann brauchte ich nur noch hineinzugreifen und den Riegel zurückzuziehen.
Ich war schnell gewesen, vom ersten Handballenschlag bis zu meinem Eindringen vergingen etwa zehn Sekunden. Vielleicht konnte ich ihn überraschen, vielleicht konnte ich ihn noch zur Vernunft bringen. Pech gehabt. Seine Bockdoppelflinte war genau auf meinen Kopf gerichtet.
Irin saß auf der Couch und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Mit verheulten Augen blinzelte sie durch ihre Fingerspitzen. Haskins stand auf dem Holzboden, die Flinte weiterhin auf mich gerichtet, und machte den Eindruck, als wüsste er genau, was er tat.
Er hielt mir den Lauf unter das Kinn und tastete mich nach Waffen ab.
»Ich will Ihnen
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