Die 6. Geisel - Thriller
Marthas Hundesitterin. Ich ging zum Kühlschrank, machte mir ein Bier auf und nahm einen langen Zug aus der Flasche, bevor ich die Nachricht las.
Hi, Lindsay. Hab dein Auto nicht gesehen, also bin ich mit Martha eine Runde gegangen! ☹ Ich hab dir doch erzählt, dass meine Eltern mir über Weihnachten ihr Haus in Hermosa Beach überlassen. Ich finde, ich sollte Martha mitnehmen. Das würde ihr echt guttun, Lindsay!!!
Sag mir einfach Bescheid.
K.
Mir war ganz schlecht, wenn ich daran dachte, dass ich meinen Hund allein gelassen hatte, ohne die Hundesitterin anzurufen. Und ich wusste, dass Karen recht hatte. Zurzeit tat ich Martha einfach nicht gut. Mein neuer Dienstplan sah Doppelschichten und Wochenenddienste vor. Seit der Schießerei auf der Fähre hatte ich nicht mehr richtig frei gehabt.
Ich beugte mich zu Martha herab, um sie zu küssen, hob ihre seidigen Ohren hoch und sah ihr in die großen braunen Augen.
»Na, hast du Lust, am Strand rumzurennen, Boo?«
Ich nahm den Hörer ab und wählte Karens Nummer.
»Prima«, sagte sie. »Ich hol sie gleich morgen früh ab.«
47
Es war Montagmorgen, eine halbe Stunde nach Tagesanbruch.
Conklin und ich waren auf der Baustelle unterhalb von Fort Point, der riesigen Backsteinfestung, die während des Bürgerkriegs an der Spitze der San-Francisco-Halbinsel errichtet worden war und die nun im Schatten der Golden Gate Bridge stand.
Eine feuchte Brise peitschte draußen auf der Bucht Schaumkronen auf und machte aus den zehn Grad Außentemperatur gefühlte zwei Grad.
Ich fröstelte - vielleicht war es der Windchill-Faktor, vielleicht auch der Gedanke an das, was wir hier vorfinden würden.
Ich zog den Reißverschluss meiner gefütterten Jacke hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Der schneidende Wind trieb mir die Tränen in die Augen.
Ein Schweißer, der an der Brückensanierung arbeitete, kam mit ein paar Bechern Kaffee aus dem sogenannten Müllauto auf uns zu, einem Imbisswagen außerhalb des Maschendrahtzauns, der die Baustelle vom öffentlich zugänglichen Bereich abschloss.
Der Schweißer hieß Wayne Murray, und er erzählte Conklin und mir, wie er heute früh zur Arbeit gekommen war und auf den Felsen unterhalb des Forts einen merkwürdigen Gegenstand entdeckt hatte.
»Zuerst dachte ich, es ist ein Seehund«, sagte er düster. »Als ich dann näher ranging, hab ich einen Arm im Wasser treiben sehen. Ich hab noch nie im Leben eine Leiche gesehen.«
Autotüren knallten, Männer kamen schwatzend und lachend durch das Tor im Zaun - Bauarbeiter, Sanitäter und ein paar Cops von der Nationalpark-Polizei.
Ich bat sie, den Fundort abzusperren.
Dann richtete ich den Blick auf das unförmige dunkle Etwas auf den Felsen unterhalb der Ufermauer. Eine Hand und ein Fuß schimmerten weiß im schaumgefleckten Wasser, das in den Ozean hinausströmte.
»Sie wurde nicht hier ins Wasser geworfen«, meinte Conklin. »Die Gefahr, gesehen zu werden, wäre zu groß.«
Ich spähte mit zusammengekniffenen Augen hinauf zu dem Beamten der Bridge Security, der mit seinem halbautomatischen AR-15-Gewehr auf der Brücke patrouillierte.
»Mmh. Je nach Uhrzeit und Gezeiten könnte sie von einem der Piers geworfen worden sein. Die Täter haben wohl angenommen, sie würde aufs offene Meer hinausgetrieben werden.«
»Da kommt Dr. Germaniuk«, sagte Conklin.
Der Rechtsmediziner war ganz aufgekratzt heute Morgen. Seine weißen Haare waren noch feucht und frisch gekämmt, er hatte die Wathose bis zur Brust hochgezogen, und seine Nase leuchtete rosig unter dem Steg der Brille.
Zusammen mit einem seiner Assistenten ging er voran, und wir schlossen uns ihnen an. Unbeholfen balancierten wir über die schroffen Felsen, die in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad rund fünf Meter tief zum Wasser hin abfielen.
»Vorsicht - bleiben Sie zurück!«, warnte uns Dr. Germaniuk, als wir uns der Leiche nähern wollten. »Ich will nicht, dass jemand ausrutscht und irgendwas berührt.«
Aus sicherer Entfernung sahen wir zu, wie er die Felsen hinunterkletterte, an die Leiche herantrat und den Koffer mit seiner Ausrüstung absetzte. Mit der Taschenlampe in der Hand machte er sich an die vorläufige Analyse der Auffindesituation.
Im Strahl der Lampe konnte ich die Leiche ziemlich genau erkennen. Das Gesicht des Opfers war dunkel und angeschwollen.
»Beginnende Hautablösung«, rief Dr. Germaniuk zu mir herauf. »Sie liegt schon ein paar Tage im Wasser. Lange genug, um als Wasserleiche zu
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