Die 6. Geisel - Thriller
an.
»Hat sich irgendjemand über die Musik beschwert?«, fragte ich Blaustein.
»Sie meinen heute?«
»Ich meine überhaupt.«
»Ich habe fiese Anrufe von einer Person gekriegt.«
»Und wer war das?«
»Sie meinen, ob er mir seinen Namen gesagt hat? Er hat ja nicht mal Hallo gesagt. ›Wenn Sie den Mist nicht abstellen, bring ich Sie um‹ - das war seine Begrüßung, als er das erste Mal angerufen hat. Das geht jetzt schon eine ganze Zeit lang so - ein-, zweimal die Woche fetzen wir uns am Telefon. Und immer verflucht der Typ mich. Verflucht meine Kinder.«
»Sie haben Kinder?«, fragte ich. Ich konnte es mir nicht so recht vorstellen.
»Nein. Er hat die Kinder verflucht, die ich vielleicht mal haben werde.«
»Und was haben Sie getan?«
»Ich? Ich kenne Schimpfwörter, die der Typ noch nie im Leben gehört hat. Ich meine, ich hätte die Stimme von dem Kerl sicher erkannt, wenn ich sie schon mal gehört hätte. Meine Ohren sind echt Spitze, ich sag’s Ihnen, die sollten bei Lloyds versichert sein. Aber ich kenne ihn nicht. Und ich kenne alle, die hier wohnen. Ich kenne sogar sie hier«, sagte er und deutete auf Cindy. »Dritter Stock, stimmt’s?«
»Und Sie sagen, es hat sich noch niemand sonst im Haus über Ihre Musikanlage beschwert?«
»Nein, weil ich erstens nur tagsüber arbeite, und zweitens darf man hier bis elf Uhr abends Musik hören. Und drittens mach ich die Musik auch gar nicht laut.«
Ich seufzte, nahm mein Handy vom Gürtel und rief die Kriminaltechnik an, wo ich den Leiter der Nachtschicht an den Apparat bekam. Ich sagte ihm, dass wir ihn hier brauchten.
»Haben Sie jemanden, bei dem Sie heute Nacht unterkommen können?«, fragte Rich Blaustein.
»Glaub schon.«
»Gut, denn hier können Sie nicht bleiben. Ihre Wohnung ist bis auf Weiteres ein Tatort.«
Blaustein blickte sich in den Trümmern seiner Wohnungseinrichtung um, und sein jugendliches Gesicht wurde immer länger, während er die Verwüstung katalogisierte. »Hier würde ich heute Nacht nicht mal für viel Geld bleiben.«
101
Während der Aufzugsfahrt nach unten setzten Cindy, Rich und ich die Puzzleteile zusammen.
»Die Hunde, das Klavier, das Laufband …«, sagte Rich.
»Die Wohnung des Webmasters …«, fügte Cindy hinzu.
»Es ist immer dasselbe«, fasste ich zusammen. » Es ist der Lärm. «
»Bingo«, pflichtete Rich mir bei. »Wer immer dieser Irre ist, auf Lärm reagiert er ein bisschen gewalttätig.«
»Rich«, sagte ich, »es tut mir leid, dass ich dich vorhin angeschnauzt habe. Ich hatte einen schlechten Tag.«
»Vergiss es, Lindsay. Jetzt lösen wir erst mal diesen Fall, und dann geht’s uns beiden schon viel besser.«
Die Aufzugstüren glitten auf, und wir traten hinaus in die Eingangshalle, in der sich in diesem Moment rund zweihundert total verängstigte Mieter drängten. Es gab nur noch Stehplätze.
Cindy hatte schon ihr Notizbuch gezückt und hielt direkt auf die Vorsitzende des Mieterbeirats zu, während ich Conklin folgte, der seinen Körper als Pflug benutzte und uns eine Schneise bis zum Empfangstresen bahnte.
Jemand rief » Ruhe! «, und als das Geraune sich gelegt hatte, sagte ich: »Ich bin Sergeant Boxer. Ich muss Ihnen nicht erzählen, dass es in diesem Gebäude eine Serie beunruhigender Zwischenfälle gegeben hat …«
Dann musste ich erst einmal warten, bis die Zwischenrufe über die Untätigkeit der Polizei verstummt waren, ehe ich ankündigte, dass wir alle Bewohner noch einmal vernehmen würden und dass niemand ohne unser Okay das Gebäude verlassen dürfe.
Ein grauhaariger Mann in den Sechzigern hob die Hand und stellte sich als Andy Durbridge vor.
»Sergeant, ich habe vielleicht brauchbare Informationen. Ich habe heute Nachmittag in der Waschküche einen Mann angetroffen, den ich hier noch nie vorher gesehen hatte. Und er hatte Kratzer am Arm, die wie Bissspuren von einem Hund aussahen.«
»Können Sie den Mann beschreiben?«, fragte ich. Eine neue Art von innerer Anspannung erfasste mich - die positive Sorte.
»Er war knapp eins siebzig groß, muskulös, mit braunen, ziemlich schütteren Haaren, schätzungsweise Mitte dreißig. Ich habe mich schon umgeschaut, und ich kann ihn hier nirgends sehen.«
»Danke, Mr. Durbridge«, sagte ich. »Kann irgendjemand von den Anwesenden einen Namen mit dieser Beschreibung verbinden?«
Eine zierliche junge Frau mit karamellfarbenen Korkenzieherlocken schob sich durch die Menge, bis sie vor mir stand.
Ihre Augen waren riesig, ihre
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