Die 7 Geheimnisse Der Schildkroete
gegenüber oft entscheidend sein mag, so doch erstens nicht immer – und zweitens heißt das ja auch nicht, dass das erste Gefühl richtig war. Oft sagt uns unser Gefühl das Richtige. Oft, aber nicht immer. Und wenn es das Richtige sagt, so doch nur das im Augenblick Richtige. Dass wir später nicht selten meinen, unser Gefühl hätte uns nicht getrogen, hängt auch damit zusammen, dass wir uns zu Sklaven unseres ersten Eindrucks machen.
Aber ist das nötig? Was können wir dadurch gewinnen? Wir vergeben uns und dem anderen die Möglichkeit, mehr zu erfahren. Wir gewinnen, indem wir gerade bei unseren Mitmenschen die Kunst der Wandlungsfähigkeit kultivieren. Der erste Eindruck trügt ebenso oft, wie er richtig ist. Wir lernen einen Menschen in seiner ganzen Vielschichtigkeit nicht kennen, indem wir ihm einmal begegnen, sondern indem wir ihn kennen lernen .
Freilich ist es schwierig, sich von dem Diktat des ersten Eindrucks zu befreien. Und doch gelingt es, wenn wir uns eine einfache Technik zu eigen machen: Neben allem Negativen, das wir empfinden mögen, wissen wir, dass jeder bei allem, was er tut, irgendeiner positiven Absicht folgt. Er versucht irgendeinen seiner Werte zu verwirklichen. Wir müssen erst einmal nicht wissen, was das genau ist. Es hilft aber, wenn wir uns bei allem, was uns negativ erscheint, Umstände vorstellen, die uns ebenso handeln ließen.
Es begegnet Ihnen beispielsweise auf einer Party ein Mensch, der sehr missmutig dreinblickt, offensichtlich einen über den Durst
trinkt und mit Ihrer besten Freundin einen Streit über Religion beginnt. »Was für ein Unsympath!«, denken Sie wahrscheinlich. Wenn Sie aber kurz darauf erfahren, dass Peter sonst nie trinkt, aber dass sein bester Freund an diesem Tag gestorben ist, sieht doch die Sache schon ein wenig anders aus. Wenn Sie nun noch hören, dass er Arzt ist, der freiwillig für Obdachlose arbeitet und nie ein böses Wort über andere verliert, könnte es durchaus sein, dass Ihr erster Eindruck Sie getrogen hat …
Und wenn Sie all das nicht erfahren, sondern sich nur vorstellen, dass es immerhin so sein könnte? Dann werden Sie zulassen, dass Sie Peter in einer anderen Situation kennen lernen und vielleicht wirklich einen netten Menschen treffen.
Dass wir uns unseres Wissens nie vollkommen sicher sein können , macht manche Menschen unsicher; sie fühlen, dass sie auf schwankendem Boden stehen. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, beginnen sie dann, ihrem Geist Fesseln anzulegen, damit er sich nicht auf den Weg ins Ungewisse macht. Das Wissen um die eigene Fehlbarkeit ist jedoch eine der größten Stärken des Menschen, kein Grund zur Resignation. Immer gibt es Neues zu entdecken, Wunder gibt es überall. Selbst in der trostlosesten Lage kann das Wissen, nicht alles zu wissen, Trost geben – denn nie werden wir wissen, ob eine ausweglos scheinende Lage wirklich ausweglos ist. Der Urzweifel des Philosophen ist ein Blick in eine endlose Freiheit.
Freilich nur dann, wenn er nicht vergisst, auch das Zweifeln selbst dann und wann infrage zu stellen. Glaube und Zweifel sind wie Beständigkeit und Wandlungsfähigkeit keine Gegensätze. Große Mystiker – Laozi, Meister Eckhart oder Raymond Smullyan – waren oft gleichzeitig exzellente Logiker …
Mahuna hatte zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, dass es nicht immer gut wäre, unbeirrbar seinen Weg zu gehen. Das irritier te ihn, aber gleichzeitig spür te er, wie er freier wurde und wie ein unsichtbares Joch (das er aus Prinzip niemals freiwillig getragen hätte) von ihm genommen war. Mit einem ganz neuen Gefühl der Bescheidenheit ging er zu Meisterin Kurma und fragte: »Kurma, Ihr habt mich gelehrt, von meiner Engstirnigkeit abzugehen. Nun sehe ich, dass sich die Welt vor mir öffnet und das ist erschreckend. Ich weiß nun nicht: Ist es nicht auch Eigensinn, wenn ich stur weiter den Weg des immer neuen Lernens gehe?« Kurma jubelte: »Mein Lieber, du machst mir eine große Freude! Denn du hast mit deinem Herzen erkannt, dass auch unablässige Veränderung Stillstand sein kann. Beständigkeit und Wandlungsfähigkeit sind keine Gegensätze, sondern zwei umschlungene Tänzer.«
Lernen heißt wandlungsfähig sein. Sicherlich leuchtet jedem ein, dass Lernen eine Veränderung bedeutet – doch wie weit diese Veränderung geht, unterschätzen die meisten. Alles Neue, das wir aufnehmen und verarbeiten, verändert unsere Wahrnehmung und unsere Welt. Wenn wir etwas
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