Die 7 Geheimnisse Der Schildkroete
Denken zu erlangen – darin liegt letztlich der Sinn jeder Form von Sammlung. Ob bei der Achtsamkeit im Handeln, der Bewusstheit im Körper oder beim Beobachten des Atems, im Grunde geht es immer nur darum, an die Quelle zurückzukehren. »An die Quelle zurückkehren« – das bedeutet nichts anderes, als
Geborgenheit in sich selbst zu finden.
Kurma spricht: »Vergiss die Worte. Vergiss die zehntausend Dinge. Nähre das eine und beherrsche deinen Geist. Tue das Nichttun und wahre das Wissen um die eigene Quelle. Trittst du in die unendliche Weite deines Geistes ein, so kann Feuer dich nicht mehr brennen, Regen dich nicht mehr nässen, Leid dich nicht mehr erschüttern. Weiße Wolken sammeln sich auf dem Gipfel, süßer Tau benetzt das Gras unter deinen Füßen, während dein Geist zur Freiheit gelangt.«
Wie ein Schleier legt sich der graue Alltag über das klare Licht unseres Geistes. Wie ein Lampenschirm den Strahl der Lampe dämpft, so dämpfen alle unruhigen Bewegungen unseres Bewusstseins die ursprüngliche Kraft, Klarheit und Freude im Innersten unseres Wesens. Zerstreuung ist der größte Feind der Sammlung. Zerstreuung entsteht, wenn wir uns von inneren und äußeren Einflüssen mitreißen lassen. Nicht nur Sorgen, Ängste oder Niedergeschlagenheit zerstreuen unseren Geist, sondern auch die vielen Meinungen und Ansichten, die von allen Seiten an uns herangetragen werden, sei es nun durch Radio, Fernsehen und Internet oder durch Freunde und Bekannte.
Munki, der Affe, war besorgt. Schlechte Nachrichten waren an sein Ohr gedrungen. Kurz vor Sonnenuntergang suchte er daher Kurma um Rat auf: »Guten Abend, Meisterin«, sprach Munki. »Ich bin in großer Sorge: Heute traf ich die schlaue Eule Yuna, und sie sagte voraus, dass die Zeit der großen Feuer sehr bald einbrechen wird und dass vielleicht auch unser Wald betroffen sein wird. Als ich Pikki, die Feldmaus, darauf ansprach, riet sie mir, mich tief in die Erde zu graben. Mahuna, der Büffel, wollte mich überreden, den Wald sogleich zu fliehen und mit ihm in die Wüste zu ziehen, dorthin, wo kein Feuer Nahrung findet. Schließlich traf ich Manduki, den Frosch, der mich überreden wollte, mit ihm im Wasser zu sitzen, bis die Zeit der Feuer vorüber sei. Nun bin ich ganz verwirrt und weiß weder ein noch aus.« Kurma schüttelte den Kopf und sprach: »Ach Munki – du bist keine Maus, wie willst du dich da in die Erde graben? Du bist kein Büffel, wo willst du in der Wüste Bäume finden, in denen du klettern kannst? Und im Wasser zu hausen, das mag einem Frosch wohl anstehen – doch einem Affen, der nicht einmal schwimmen kann? Besser du findest selbst deinen Weg.« Munki antwortete: »Das ist ja das Problem: Ich sehe die Lösung einfach nicht.« Darauf sprach Kurma: »Die vielen Ansichten sind wie Wellen auf stürmischer See. Die vielen Befürchtungen kommen und gehen. Beobachte deinen Geist, tauche in die Stille ein – so wirst du frei davon.«
Am nächsten Tag sah Kurma, wie Munki fröhlich und zufrieden oben in seiner Palme saß. »Wie ich sehe, bist du noch nicht fortgelaufen«, sprach Kurma. »Oh nein«, erwiderte Munki, »warum soll ich auch Höhlen in die Erde graben oder ins kalte Wasser springen, wo doch weit und breit kein Feuer zu sehen ist? Wach bleiben und den Lauf der Dinge aufmerksam beobachten – das scheint mir der beste Weg zu sein. Sollte Feuer ausbrechen, so wird es wohl nicht vom Himmel fallen: Ich werde den Rauch sehen oder werde hören, wie die Papageien fliehen. Kommt es mir zu nahe, werde ich es sicherlich wittern. Dann bleibt immer noch Zeit, das Weite zu suchen. Im Moment jedoch sieht es nicht so aus, als ob die Glut der Sonne die Erde verbrennen wird …« Munki deutete zum Himmel. Kurma blickte nach oben und lächelte, als sie von Weitem dicke, schwarze Regenwolken heranziehen sah.
Die Ablenkungen von außen sind das eine. Mindestens genauso lästig sind aber auch die Zerstreuungen unseres eigenen Geistes. Freiheit von inneren und äußeren Störenfrieden ist jedoch die Voraussetzung dafür, in die Wirklichkeit des lebendigen Augenblicks eintauchen zu können.
Solange Gedanken und Gefühle unseren Geist wie Wellen oder Stürme aufwühlen, ist es unmöglich, auf den Grund der Tiefe zu blicken. Das wahre Sein schweigt, solange wir sprechen; doch wenn wir schweigen, spricht es zu uns.
Leider können wir die unruhigen Bewegungen unseres Geistes nicht einfach abstellen, indem wir einen Schalter umlegen. Doch
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