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Die Abaddon-Mission (German Edition)

Die Abaddon-Mission (German Edition)

Titel: Die Abaddon-Mission (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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sprangen auf und ve r sperrten ihnen die Sicht. Rasch waren Sally und L e wis auf den Beinen, Teil einer Bewegung, die sich wie eine Woge von der Bühne in Richtung Park L a ne und darüber hinweg ausbreitete.
    »A-awright!« rief der Weißgekleidete in die Me n ge, ohne sich mehr als nur kurzfristig Gehör ve r schaffen zu können. Es war natürlich Mick, auch wenn er in seinem langen Rüschenhemd wie ein e t was zu groß geratenes Schulmädchen aussah.
    Er vermasselt es, dachte Lewis, während die B e gei s terungsrufe der Menge zur Bühne zurückfluteten und Micks Bitte um einen Augenblick Ruhe beinahe ü bertönten.
    »Hört mal zu ... nur einen Moment. Ich möchte wirklich gern etwas zu Brian sagen ...« Aus une r findlichen Gründen hielt Charlie Watts den Auge n blick für geeignet, ein paar Trommeln seines Schlagzeuges auszuprobieren. Beifall und Geschrei schwollen an, und Micks Bitte um Aufmerksamkeit ging im allg e meinen Lärm beinahe unter.
    »Okay!« rief er nun lauter und fast schon ein w e nig erbost. »Wollt ihr nun zuhören oder nicht?«
    Fast augenblicklich wurde es still. So still, daß die wenigen Zwischenrufer vor dem Klang ihrer eigenen Stimmen erschraken und verstummten.
    Wie ein Kind, das ein Geschenk hinter seinem Rücken versteckt hat, zog Mick ein Buch hervor, warf sein Haar mit einer seltsam anmutigen Geste zurück und begann vorzulesen:
     
    Peace, peace! He is not dead, he doth not sleep –He has awakened from the dream of life – 'Tis we, who lost in stormy visions, keep With pha n toms an unprofitable strife ...
     
    Trotz der drückenden Hitze spürte der Junge, wie ihm eine Gänsehaut über dem Rücken lief.
     
    ... And in mad trance, strike with our spirit's knife Invulnerable nothings. – We d e cay Like corpses in a charnel; fear and grief Convulse us and consume us day by day, And cold h o pes swarm like worms within our living clay.
     
    Jaggers Stimme, von einem Dutzend Bühnenve r stärker zu machtvoller Lautstärke erhoben, war fern von jeder Kün stlichkeit und klang so unerwartet aufric h tig, daß es Lewis die Tränen in die Augen trieb. Es war nicht nur Trauer, die den Jungen b e wegte, so n dern die Erkenntnis, daß die Totenfeier für Brian hier und heute stattfand – auf die einzig mögliche Art ...
    Eine kleine Pause entstand, als Mick eine andere Seite des Buches aufschlug und schließlich weite r las:
     
    The One remains, the many changes and pass; Heaven's light forever shines, Earth's shadows fly; Life, like a dome of many-coloured glass, Stains the white radiance of Eternity, Until Death tramples it to fra g ments. – Die, If thou wouldst be that which thou dost seek!
     
    Als die letzten Worte im betroffenen Schweigen der Menge verhallt waren, traten Männer aus dem Scha t ten des Bühnenhintergrundes, die niemand vorher bemerkt hatte. Sie schwenkten braune Ka r tons und schüttelten etwas heraus, das aus der En t fernung wie weißes Konfetti aussah. Aber es war kein Ko n fetti, denn ein Teil der weißen Wolke erhob sich aus eig e ner Kraft über die Köpfe der Zuschauer und bald war die Luft über dem dichtbevölkerten Rasen mit we i ßen Schmetterlingen übersät.
    Der Junge stand schweigend und wischte sich mit einer verstohlenen Bewegung die Tränen aus den Augen. Seine Knie zitterten, und er war froh, daß ihm Sallys Nähe Halt gab. Er spürte die Wärme i h res Körpers und ertappte sich bei dem Gedanken, ob sie wohl miteinander schlafen würden, heute abend, wenn das Konzert vorbei war ...
    Als die Musik einsetzte, fiel die Anspannung von ihm ab. Sein Körper nahm den Rhythmus auf, und bald bewegte er sich wie in Trance, ohne die einze l nen Titel überhaupt noch bewußt wahrzunehmen. Der Geruch von frisch gemähtem Gras verband sich mit Aroma von Tabakrauch und Patschuliöl zu e i nem betäubenden Gemisch, und obwohl Lewis nur ein einziges Bier getrunken hatte, spürte er, wie ihm ein wenig schwindlig wurde. Die Empfindung war ke i neswegs unangenehm, im Gegenteil: Er fühlte sich großartig.
    »Bist du noch böse?« flüsterte Lewis dem Mä d chen ins Ohr, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte. Sally antwortete nicht, sondern zog ihn ei n fach an sich. Ihre Lippen fanden sich wie von selbst, und so standen sie eng aneinander geschmiegt wie auf einer Insel im Meer aus Körpern, Gesichtern und stam p fenden Rhythmen.
    Halt mich fest, dachte der Junge, als die Musik und der Lärm der Menge plötzlich verstummten und das Schwindelgefühl

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