Die Abaddon-Mission (German Edition)
keinerlei Regung. Er schritt rasch aus und schien weder die Hitze noch die Last auf seinem Rücken zu spüren.
Als sie den Strand erreichten, spürte Sir Andrew, wie ihm der Schweiß in den Nacken rann. Er warf einen besorgten Blick zur Uhr. Noch eine halbe Stunde, und Valeries Nachmittagslektion war zu Ende. Sie mußten sich beeilen.
Der verletzte Vogel hatte die Zeit genutzt, um sein Schattendach zu verlassen und in Richtung Hecke zu kriechen. Weit war er nicht gekommen.
»Tapferer Bursche«, murmelte Aristide und schnal z te anerkennend mit der Zunge. Dann zog er die A r beitshandschuhe über, die er in seinem Gürtel getr a gen hatte.
»Was haben Sie vor?« Sir Andrews Stimme klang heiser.
»Wir sollten es nicht hier am Strand tun, wo die Kinder spielen.«
»Wo dann?«
»Drüben auf dem Plateau«, der alte Mann deutete mit dem Arm auf eine felsige Erhebung zu ihrer Rechten. »Komm, Mr. Baldhead, du mußt keine Angst haben.«
Dann ließ er sich auf die Knie nieder und ergriff das zuckende Federnbündel, das erschrocken au f kreisc h te und mit dem Schnabel um sich hieb.
»Vielleicht gibt es doch irgendwo ein Nest, das wir damals übersehen haben?« Sir Andrews Ei n wand klang nicht besonders überzeugend.
»Nein, Sir, Sie haben nichts übersehen. Die Nester von Weißkopfadlern sind ziemlich groß, mindestens fünf Fuß im Durchmesser. Unser Freund muß von draußen gekommen sein. Es tut mir leid.«
Es tut dir nicht leid , dachte Sir Andrew verstimmt. Und du bist auch nicht sein Freund, in zwei Minuten wirst du ihn umbringen ...
Verwirrt über die Intensität seines Grolls folgte er dem alten Mann, bis sie das kleine Felsplateau am Rande der Bucht erreicht hatten.
»Und wenn er nun wirklich von draußen käme, was wäre daran so schlimm?« Daß Aristide im let z ten Augenblick doch noch Skrupel bekommen hatte, überraschte Sir Andrew. Aber es änderte nichts. Im Grunde war die Entscheidung längst gefallen.
Er dachte an die Stadt, in der er aufgewachsen war. Aus der Entfernung hatte sie ausgesehen wie immer. Es gab keine Zerstörungen, und in den Str a ßen staute sich der Verkehr. Daß es kein gewöhnl i cher Stau war, hatten erst die Nahaufnahmen g e zeigt. Autos, Taxis und Busse standen kreuz und quer, teilweise ineinander verkeilt und umgekippt. Nichts hatte sich mehr bewegt, die Fahrzeuge nicht und auch nicht die Menschen, die sie benutzt hatten. Sie waren gesto r ben, ohne zu begreifen, was ihnen geschah. Ihre G e sichter waren in einem grotesken Grinsen erstarrt, als hätten sie sich im Wortsinn to t gelacht. »Smily« hatten die Militärs den Kampfstoff genannt ...
»Ich weiß es nicht. Aber wenn wir auch nur das geringste Risiko eingehen, könnte es alles gefäh r den.«
»Sie meinen ...?« Die Stimme des alten Mannes klang zweifelnd, aber sein Gesicht blieb unbewegt.
» ... daß wir keine Wahl haben«, ergänzte Sir A n drew forsch.
»Also gut, bringen wir es hinter uns«, Aristide beu g te sich nach unten und ließ den Vogel aus den Händen gleiten. Doch er hatte dessen Schnelligkeit u n terschätzt. Mit unvermutetem Schwung hüpfte das Adlerjunge empor und hackte nach dem Gesicht seines Gegners.
»Verdammt!« mit einer heftigen Abwehrbew e gung beförderte Aristide das Tier zurück auf den Boden, wo es reglos liegenblieb. Aber es war zu spät. Der Schnitt auf seiner linken Wange war zwar nicht sehr tief, füllte sich aber rasch mit Blut.
Der alte Mann zog die Handschuhe aus und tastete nach der Wunde. Fast ein wenig verwundert betrac h tete er das Blut auf seinen Fingern. »Tapferer kleiner Kerl«, murmelte er und, »schade um ihn.«
»Das hätte nicht passieren dürfen«, sagte Sir A n drew nach einer Weile.
»Nein«, erwiderte Aristide ruhig, in seinem Blick lag noch immer keinerlei Besorgnis.
»Es kann Sie umbringen. Es kann uns alle u m bringen!«
»Nein«, erwiderte der alte Mann und lächelte.
»Was soll das heißen!?«
»Daß ich gehe. Ich verlasse die Insel, niemand wird zu Schaden kommen.«
Sir Andrew unterdrückte die Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, und dachte nach.
Die beiden Männer schwiegen lange. Als Aristide sich plötzlich zu dem Adlerjungen herabbeugte und das erschöpfte Tier ergriff, fürchte Sir Andrew einen Augenblick lang, er würde ihm den Hals umdrehen. Doch nichts dergleichen geschah.
»Er hatte nur Angst«, sagte der alte Mann und strich mit den Fingern vorsichtig über die zarten Federn im Nacken des Vogels.
»Ich auch«, erwiderte Sir
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