Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
brave Menschen gefunden.«
Der Wachtmeister nickte zustimmend mit dem Kopf: »Bei uns ist das Volk sehr brav und gut. Ab und zu ein Diebstahl oder eine Rauferei, das fällt nicht in die Waagschale. Ich bin schon fünfzehn Jahre hier, und wenn ichs zusammenrechne, kommt auf ein Jahr ungefähr dreiviertel von einem Mord.«
»Da meinen Sie einen unvollkommenen Mord?« fragte Schwejk.
»Keineswegs, das mein ich nicht. In fünfzehn Jahren haben wir nur elf Morde untersucht. Davon waren fünf Raubmorde und die sechs übrigen solche gewöhnlichen, die nicht für viel stehn.«
Der Wachtmeister verstummte und ging wieder zu seiner Verhörmethode über. »Und was wollten Sie noch in Budweis machen?«
»Den Dienst beim 91. Regiment antreten.«
Der Wachtmeister forderte Schwejk auf, sich wieder in die Wachstube zu begeben, und zwar rasch, damit er nicht vergesse, in seinem Rapport an das Bezirksgendarmeriekommando in Pisek hinzuzufügen: »Der tschechischen Sprache vollkommen mächtig, wollte er in Budweis versuchen, in das 91. Infanterieregiment einzutreten.«
|271| Der Wachtmeister rieb sich freudig die Hände, erfreut über das gesammelte Material und die genauen Ergebnisse seiner Verhörmethode. Er erinnerte sich an seinen Vorgänger, Wachtmeister Bürger, der mit einem Angehaltenen überhaupt nicht redete, ihn nach nichts fragte und sofort zum Bezirksrichter schickte mit dem kurzen Rapport: »Nach Angabe des Postenführers wurde er wegen Vagabundage und Bettelei abgefaßt.« Ist das ein Verhör?
Und während der Wachtmeister die Seiten seines Rapports betrachtete, lächelte er mit Genugtuung, zog aus seinem Schreibtisch ein geheimes Reservat des Landesgendarmeriekommandos in Prag hervor, mit dem üblichen: »Streng vertraulich!«, und las nochmals:
»Allen Gendarmeriestationen wird hiermit streng aufgetragen, mit erhöhtester Aufmerksamkeit alle Personen zu beobachten, die den Rayon passieren. Die Verschiebungen unserer Truppen in Ostgalizien haben Ursache dazu gegeben, daß einige russische Truppenabteilungen nach Überschreitung der Karpaten Positionen im Innern unseres Reiches eingenommen haben, wodurch die Front tiefer in den Westen der Monarchie gerückt wurde. Diese neue Situation hat es den russischen Spionen ermöglicht, bei der Beweglichkeit der Kampflinien tiefer in das Hinterland unserer Monarchie einzudringen, hauptsächlich nach Schlesien und Mähren, von wo sich, vertraulichen Berichten zufolge, eine große Zahl russischer Spione nach Böhmen begeben hat. Es wurde sichergestellt, daß sich unter ihnen viele russische Tschechen befinden, die in den hohen Militärstabsschulen Rußlands ausgebildet wurden und welche infolge der vollkommenen Beherrschung der tschechischen Sprache besonders gefährliche Spione zu sein scheinen, denn sie sind in der Lage, auch unter der tschechischen Bevölkerung eine hochverräterische Propaganda zu entfalten, was sie sicherlich tun. Das Landeskommando befiehlt daher, alle verdächtigen Elemente anzuhalten und insbesondere die Wachsamkeit an jenen Orten zu erhöhen, wo sich in der Nähe Garnisonen, militärische Zentren und Eisenbahnstationen mit durchfahrenden Militärzügen befinden. Die Angehaltenen sind augenblicklich |272| einer Untersuchung zu unterwerfen und den höheren Instanzen einzuliefern.«
Gendarmeriewachtmeister Flanderka lächelte abermals zufrieden und legte das geheime »Sekretsreservat« unter die übrigen Reservate in die Mappe mit der Aufschrift »Geheime Verordnungen«.
Es waren ihrer viele, die das Ministerium des Innern unter Mitwirkung des Ministeriums für Landesverteidigung, dem die Gendarmerie unterstand, ausgearbeitet hatte.
Auf dem Landesgendarmeriekommando hatte man alle Hände voll zu tun, sie zu vervielfältigen und zu versenden.
Da waren:
Die Verordnung bezüglich der Kontrolle der Gesinnung der Ortsbevölkerung.
Eine Anleitung, mit Hilfe von Gesprächen den Einfluß der Nachrichten vom Kriegsschauplatz auf die Gesinnung der Ortsbevölkerung zu beobachten.
Eine Anfrage über das Verhalten der Ortsbevölkerung gegenüber den ausgeschriebenen Kriegsanleihen und Sammlungen.
Eine Anfrage über die Stimmung unter den Assentierten und denjenigen, die assentiert werden sollten.
Eine Anfrage über die Stimmung unter den Mitgliedern der örtlichen Selbstverwaltung und der Intelligenz.
Eine Verordnung über die unverzügliche Feststellung, aus welchen politischen Parteien sich die Ortsbevölkerung zusammensetze und zur Ergründung der
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