Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
er zufällig geladen hätt und der Verschluß wär offen? Da könnts leicht geschehen, daß ihm, wie er einem so in die Schulter drischt und der Lauf auf ihn schaut, das Gewehr losgeht und ihm die ganze Ladung ins Maul fliegt und er in Ausübung seiner Pflicht stirbt. Da ham dir mal im Böhmerwald in einem Steinbruch die Arbeiter Dynamitzünder gestohlen, damit sie Vorrat aufn Winter ham, wenn sie Bäume sprengen. Der Wächter in den Steinbrüchen hat Befehl bekommen, wenn die Arbeiter aus der Arbeit gehn, daß er jedem die Taschen durchsucht, und hats dir mit so viel Liebe gemacht, daß er gleich den ersten Arbeiter gepackt hat und angefangen hat, ihm so leidenschaftlich |706| auf die Taschen zu klopfen, daß dem die Dynamitzünder in der Tasche explodiert sind und er samtn Wächter in die Luft geflogen ist, so daß es ausgesehn hat, wie wenn sie sich noch im letzten Moment um den Hals nehmen möchten.«
Der russische Gefangene, dem Schwejk dies erzählte, blickte ihn mit vollem Verständnis an, denn er hatte kein Wort verstanden.
»Nicht ponymat, ich krimski Tatarin, Allah achper.«
Der Tatare setzte sich, die Beine kreuzend, auf die Erde, legte die Hände auf die Brust und begann zu beten: »Allah achper – Allah achper – bezemila – arachman – arachim, malinkin mustafir.«
»Also du bist ein Tatar«, sagte Schwejk teilnahmsvoll, »na, du bist aber gelungen. Dann sollst du mich verstehn und ich dich, wenn du ein Tatar bist. Hm – kennst du den Jaroslav von Sternberg? Den Namen kennst du nicht, Junge, tatarischer? Der hat euch doch bei Hostein den Hintern verdroschen. Damals seid ihr, Jungens, tatarische, im Laufschritt von uns aus Mähren gesaust. Wahrscheinlich lernt mans euch nicht so in euren Lesebüchern, wie mans uns gelernt hat. Kennst du die Hosteiner Jungfrau Maria? Versteht sich, daß du sie nicht kennst – die war auch dabei; na wart, Junge, sie wern euch schon in der Gefangenschaft taufen.«
Schwejk wandte sich einem zweiten Gefangenen zu: »Du bist auch ein Tatar?«
Der Angeredete verstand das Wort Tatar und schüttelte den Kopf. »Tatarin net, Tscherkes, rodneja Tscherkes, golowy reshu.«
Schwejk hatte überhaupt das Glück, sich in Gesellschaft von Angehörigen der verschiedenen Nationen des Ostens zu befinden. Es gab hier im Transport Tataren, Grusinier, Osseten, Tscherkessen, Mordwinen und Kalmücken.
Schwejk hatte also das Unglück, daß er sich mit niemandem verständigen konnte; man schleppte ihn mit den andern nach Dobromil; von dort aus sollte die Bahnstrecke, die über Przemyśl und Nirankowitz führte, Řepariert werden.
|707| In Dobromil schrieb man in der Etappenkanzlei einen nach dem andern ein, was große Schwierigkeiten bereitete, weil von sämtlichen dreihundert Gefangenen, die man nach Dobromil geschleppt hatte, kein einziger das Russisch des Feldwebels verstand, der dort hinter dem Tisch saß; er hatte sich seinerzeit als der russischen Sprache mächtig gemeldet und vertrat jetzt die Stelle eines Dolmetschs in Ostgalizien. Vor reichlich drei Wochen hatte er sich ein deutsch-russisches Lexikon und ein Lehrbuch bestellt, die jedoch bisher nicht eingetroffen waren; deshalb sprach er statt russisch ein gebrochenes Slowakisch, das er sich recht und schlecht angeeignet hatte, als er als Vertreter einer Wiener Firma in der Slowakei das Bild des heiligen Stephan, Weihkessel und Rosenkränze verkauft hatte.
Ob dieser sonderbaren Gestalten, mit denen er überhaupt nicht sprechen konnte, war er ganz verstört. Nun trat er vor und brüllte in die Gruppe der Gefangenen: »Wer kann deutsch sprechen?«
Aus der Gruppe trat Schwejk hervor und lief mit freudestrahlendem Gesicht auf den Feldwebel zu, der ihm bedeutete, er möge ihm sofort in die Kanzlei folgen.
Der Feldwebel setzte sich hinter seine Schriftstücke, einen Berg von Blanketten für den Vermerk von Namen, Herkunft, Zuständigkeit der Gefangenen, und nun entspann sich ein unterhaltsames deutsches Gespräch:
»Du bist ein Jud, gelt?« redete er Schwejk an.
Schwejk schüttelte den Kopf.
»Du mußt es nicht leugnen«, fuhr der Feldwebel-Dolmetsch mit Bestimmtheit fort, »jeder von euch Gefangenen, der Deutsch verstanden hat, war ein Jud, und basta. Wie heißt du? Schwejch? Also siehst du, was leugnest du, wenn du so einen jüdischen Namen hast. Bei uns mußt du nicht fürchten, dich dazu zu bekennen. Bei uns in Österreich macht man keine Pogroms gegen die Juden. Woher bist du? Aha, Praga, das kenn ich, das kenn ich, das
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