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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Mütze vom Kopf. Im Gesicht des jüngeren konnte ich lesen, wie ich aussah.
    Sie griffen mir unter die Arme und zogen an meinen Beinen und schleppten mich zu einer Bank, auf die legten sie mich. Sie schoben mir eine zusammengerollte Decke in den Nacken und tupften mir mit einem feuchten Handtuch das Blut vom Gesicht und vom Hals. An den Kopf trauten sie sich nicht. Der Ältere sagte: »Nicht den Kopf, an den trau ich mich nicht, lassen wir lieber den Kopf!«
    Ob ich überfallen worden sei, fragten sie. Das wisse ich nicht, antwortete ich und wiederholte, dass ich einen Mord begangen hätte. Sie glaubten mir nicht. Ob ich ein Glas Wasser wolle. Ich nickte. Sie räumten den Verbandskasten aus, der an der Wand hing. Fast alles, was sich darin befand, verbrauchten sie an meinem Gesicht. Der Jüngere jammerte und war nervös. Der Ältere telefonierte mit einem Arzt. Der kam nach wenigen Minuten.
    Er war ein sehr großer Mann mit groben Schuhen, die dicke steife Sohlen hatten und bei jedem Schritt auf den Boden klappten wie Bretter. Er sah mich lange an, leuchtete mir mit einer dünnen Taschenlampe in die Pupillen, in die Nasenlöcher und in die Ohren, verzog dabei sein Gesicht, wie es Handwerker tun, wenn sie an etwas Feinem arbeiten. Er gab mir Befehle. »Zähl die Wochentage auf!« Ich zählte sie auf. »Zähl die Monate auf!« Ich zählte sie auf. »Rechne acht mal sieben aus!« Ich nannte das Ergebnis. Ich fragte, ob er auf diese Weise feststellen wolle, ob ich bei Sinnen sei oder schon verrückt. Er sagte, richtig, das wolle er auf diese Weise feststellen, und wie er sehe, sei ich bestens bei Sinnen und nicht verrückt. Er gab mir eine Spritze in den Arm.
    Ich sagte zum dritten Mal: »Ich habe einen Mord begangen.« Diesmal nannte ich Namen und Adresse. Sie wussten, wer die Lundins waren, alle drei wussten es.
    Der junge Polizist telefonierte und fuhr los. Ich lag zwischen seinem Kollegen und dem Arzt, und wir warteten. Ich sagte nichts mehr. Sie fragten, ich sagte nichts. Sie sagten, ich brauche ihnen nicht zu antworten, der Richter komme gleich. Ihm müsse ich antworten.
    »Wir sollten ihn unbedingt fragen, wie er heißt«, sagte der ältere Polizist zum Arzt. »Er hat keine Papiere bei sich.«
    »Es hat keinen Sinn«, sagte der Arzt. »Er hört uns nicht mehr.«
    »Wir sollten ihn trotzdem fragen«, sagte der Polizist. »Der Richter wird als erstes wissen wollen, wie er heißt, und wir haben vergessen, ihn zu fragen.«
    »Er hört uns nicht mehr«, sagte der Arzt. »Es ist sinnlos, glaub mir.«
    »Wie heißt du?«, fragte mich der Polizist. »Wie heißt du? Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?« Erst fragte er schüchtern, schließlich verzweifelt. »Wie heißt du? Sag, wie du heißt! Du musst mir sagen, wie du heißt! Hörst du mich nicht? Was schaust du mich an und tust gleichzeitig, als ob du mich nicht hörst!«
    »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, sagte der Arzt. »Er hört dich nicht.«
    Ich hörte sehr gut, aber ich wollte nicht antworten, ich wollte, dass der Arzt recht hatte, weil sein Gesicht von schwerer Traurigkeit geprägt war.
    »Aber er hat die Augen offen«, sagte der Polizist. »Er schaut, er bewegt die Augäpfel und schaut. Jetzt schaut er mich an, jetzt dich. Hört er mich nicht?«
    »Er hört nichts mehr«, sagte der Arzt. »Sieh dir seine Augen an! Eines ist größer als das andere. Das ist ein schlechtes Zeichen. War das vorhin auch schon? Das bedeutet Hirnaustritt. Und was ihm aus der Nase und aus dem Ohr rinnt, ist Gehirnflüssigkeit. Bei ihm hat Liquorrhö eingesetzt. Ganz schlecht. Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen. Und wenn das Auge hervortritt, ganz schlecht, eine Blutansammlung hinter dem Augapfel, die drückt das Auge nach vorne, Protusio bulbi, ganz schlecht.«
    »Aber wir müssen wissen, wie er heißt«, sagte der Polizist, »das müssen wir unbedingt wissen!«
    »Wie lautet dein Name?«, brüllte mich der Arzt an.
    Ich brüllte zurück: »Andres!«
    Ich bin ein Tier, in Menschenhaut gefangen, bald werde ich erlöst.
     
    Der Richter und der junge Polizist kamen nach Mitternacht. Sie waren bereits beim Tatort gewesen und hatten auch mit Bebe gesprochen.
    Der Richter warf einen kurzen Blick auf mich und fragte den Arzt, ob ich vernehmungsfähig sei. Er hatte den Mantel falsch zugeknöpft. Der Arzt zuckte mit der Achsel. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liege eine Schädelfraktur vor, sagte er. Es sehe schlecht aus. Aber reden könne ich.
    Der Richter wandte sich

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