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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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war blitzartig weg. Das war ein harmloser Autounfall. Ich freue mich auf deinen Prozess, Jimmy. Den machen wir beide unter uns aus. Du und ich. Die hier wissen natürlich, dass ich nicht der Untersuchungsrichter bin, und es ist ihnen wurscht. Der Herr Untersuchungsrichter sitzt zu Hause bei seiner Familie. Ich bin der Herr Staatsanwalt. Darf ich mich vorstellen. Ich dürfte eigentlich nicht hier sein, und mit dir sprechen dürfte ich überhaupt nicht. Aber meine Güte! In so einem kleinen Land. Der Richter ist mein Freund. Ich werde dafür sorgen, dass man dich aufhängt, Jimmy. Du hättest dir für deine Sauerei ein anderes Land aussuchen sollen. In Liechtenstein steht auf Mord die Todesstrafe. Egal, wie alt du bist, für mich bist du mindestens achtzehn. Das werde ich beweisen. Und mit achtzehn darf man dich aufhängen. Ich kann alles beweisen, was ich will. Wir haben es hier nicht mit der Mathematik zu tun, sondern mit der Juristerei. Und wann ist in der Juristerei eine Sache bewiesen? Wenn Richter und Geschworene sie glauben. Die Kollegen meinen, der Beweis sei das Schwierigste. Das Schwierigste ist, etwas beweisen zu wollen . Ich will, Jimmy. Ich will beweisen, dass du ein erwachsener Mann bist, der einen grauenvollen Mord begangen hat.«
    Den größten Teil seines Vortrags war er in Unterhosen vor mir gestanden, nun stieg er zurück in seine Hose und zog den Gürtel zusammen.
    »Darf ich auch etwas sagen?«, sagte ich.
    »Aber bitte. Wir beide sind allein, niemand hört uns, niemand wird bezeugen können, was ich sage und was du sagst. Hier sind nur wir zwei. Nur du und ich.«
    Er wandte sich zu mir, drückte wieder die Augen zu und die Faust vor die Nase, damit er mich nicht sehen und nicht riechen musste. Ich stützte mich auf meine Ellbogen, um näher bei seinem Ohr zu sein. Viel Stimme stand mir nicht mehr zur Verfügung.
    »Ich will Folgendes sagen: Könnten Sie mich nicht bitte leben lassen, Herr Staatsanwalt? Lassen Sie mich bitte leben! Wenn alles gut wird und meine Locken wieder so schön sind, wie sie vorher waren, und meine Sommersprossen wieder wie Goldpunkte leuchten und meine Augen, die alle Menschen so zauberhaft finden, wieder klar sehen können, werde ich Ihnen die Hose aufknöpfen und Ihren Penis streicheln, und wenn Sie wollen, werde ich ihn in den Mund nehmen, Sie werden eine Freude an mir haben, und ich werde es niemandem verraten. Bitte lassen Sie mich leben!«
    Er öffnete die Augen und glotzte mich an, und ich versuchte zu lächeln. Ich hatte dabei das Gefühl, als bewegten sich nicht meine Lippen auseinander, sondern zwei Teile meines Schädels, wie wenn ein Mann mit seinem Bowiemesser quer eine Melone spaltet. Der Herr Staatsanwalt übergab sich zum dritten Mal. Es war Galle, und die spie er mir übers Gesicht.
    »In Gottes Namen, verreck«, sagte er, und das tat ich …
     

3
     
    … und träumte, ich wachte auf und läge an einem Sommerabend auf einer Wiese, ich wäre gesund und nicht beschmutzt und hätte keine Schmerzen, wäre frei und könnte gehen, wohin ich wollte, und sei’s in die weite Welt hinaus, und hätte keinen Staatsanwalt zum Feind. In einem Polster aus Blüten wie doppelköpfige Engelchen, zwischen weißen Blumenkelchen und hohen Gräsern, deren Ähren über mir wippten, lag ich, roch den Duft der Erde, hörte das Rasen der Mücken und schaute in den blauen Himmel, der in seiner höchsten Höhe golden war.
    Wer immer in diesem Augenblick bei mir ist, weil er mein Buch in Händen hält und diese Zeilen liest, dem will ich es sagen: Aus dem Goldenen heraus löste sich eine Gestalt in einem weißen Gewand, und ich erkannte Staff Sergeant Winship, der in ein weißes Leintuch gehüllt war wie damals, als er die Filiale der Sparkasse in Passau überfallen und mich als Geisel genommen hatte. Und Staff Sergeant Winship schwebte zu mir herab, und ich hörte seine Stimme, die mir so lieb war: Ich bin durch den Himmel geflogen, sagte er, hinauf und hinunter, nach rechts und nach links, vor und zurück in den Koordinaten x/y/z, zwischen den Planeten hindurch, die wie rote Blutkörperchen in unseren Adern sind, vorbei an Proxima Centauri, an Beteigeuze, Deneb, Wega und Atair, vorbei an roten Riesen, weißen Zwergen, gelben Sonnen und hinein ins Zentrum der Milchstraße und hinüber zur großen und zur kleinen Magellan’schen Wolke und hinaus zum Pferdekopfnebel und weiter zum Andromedanebel – und, stell dir vor, Corporal Andrew Philip: Überall habe ich den Gott getroffen,

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