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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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an mich, sah aber an mir vorbei, als er sprach: »Frage eins: Was ist mit dem Geld?«
    »Weiß nicht«, sagte ich.
    »Frage zwei: Wie alt sind Sie? Frage drei: Wie heißen Sie? Bitte!«
    Ich antwortete nicht, und er fragte noch einmal.
    Ich sagte: »Gleich sage ich es Ihnen.«
    »Wissen Sie nicht, wie Sie heißen und wie alt Sie sind?«
    »Gleich weiß ich es.«
    »Sie haben das Geld liegen lassen«, sagte er.
    »Weiß nicht«, sagte ich.
    »Sie haben das Geld am Tatort vergessen.«
    »Weiß nicht.«
    »Viel Geld.«
    »Weiß nicht.«
    Er setzte sich auf den Sessel, auf dem der Arzt gesessen hatte. Er hatte ein spitzes Ohr, und die Haare standen ihm in die Höhe, weil er seine Mütze so heftig vom Kopf gezogen hatte, als er von draußen hereingekommen war. Das sah lustig aus. Ich blickte auf seinen Rücken, der wie ein krummer Hund mit abgewetztem Pelz war, und das war so komisch, dass ich dachte, jetzt sei es höchste Zeit zu lachen. Und ich wollte auch lachen. Nichts anderes wollte ich als lachen. Aber auf einmal war wieder irgendetwas mit meiner Stimme los, sie gab Töne von sich wie Bellen und Miauen, zwischen Miauen und Bellen war es, und änderte sich in Grunzen, Rasseln und Stöhnen, als balgten sich Hund und Katz, Schweine, Affen und Schlangen in meiner Gurgel, zuerst waren die Schweine die Starken, sie machten sich über Hund und Katz her, wurden aber von den Affen mit ihrem Gekreische vertrieben, nur hatten die Affen nicht auf die Schlangen geachtet, die von den Bäumen herunterhingen und sie erwürgten und sich an ihnen prall fraßen. Der Richter stieß einen Angstschrei aus, sprang auf und übergab sich auf den Fußboden, einmal und gleich noch einmal drauf. Dabei stand er breitbeinig, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände presste er auf die Schenkel, und ein Furz ging ihm los. Er hustete und spuckte und eilte zu dem Waschbecken neben dem großen hellgrün angemalten Heizkörper und spülte sich den Mund aus und fluchte über die Sauerei.
    »Wissen Sie inzwischen, wie alt Sie sind?«, fragte er mich, nachdem er sich Hände und Gesicht gewaschen hatte. »Mich interessiert nur, ob Sie schon achtzehn sind. Sind Sie achtzehn?«
    Ich antwortete nicht. Der junge Polizist, steinweiß im Gesicht, kam mit einem Eimer und einem Putzlumpen und wischte das Erbrochene auf.
    »Oder schon neunzehn? Eher neunzehn, stimmt’s?« Er suchte die Blicke der anderen: »Wie alt ist er? Hat er euch gesagt, wie alt er ist?« Sie wichen ihm aus, schauten mich an und zuckten mit den Achseln. »Wie alt schätzt ihr ihn?«
    »Achtzehn«, der junge Polizist.
    »Mindestens achtzehn«, der ältere.
    »Denk ich auch«, der Richter.
    »Eher neunzehn sogar«, der Arzt.
    »So sehe ich es auch«, sagte der Richter. Er gab dem jungen Polizisten Zeichen, dass er sich mit dem Aufwischen beeilen solle. »Entsetzlich, wie es hier stinkt!«, schimpfte er, obwohl ja er schuld daran war, dass es hier stank. Er muss sehr viel gegessen und getrunken haben an diesem Abend, der Fußboden war voll mit seiner Kotze, sogar an den Schreibtischbeinen waren Spritzer. Er öffnete ein Fenster und sagte, er wolle nun mit mir allein sein.
     
    Als die Polizisten und der Arzt in den Nebenraum gegangen waren, sagte er, wieder ohne mich anzusehen: »Ich habe noch nie bei der Arbeit gekotzt. Das werden sie vor Gericht aussagen, die drei, dass ich gekotzt habe, die beiden Polizisten und auch der Arzt. Und das wird gegen dich verwendet werden. Rein gefühlsmäßig. So sind die Geschworenen. Das nimmt Geschworene mit, wenn ein Jurist kotzen muss, glaub mir. Wie oft hast du geschossen?«
    »Weiß nicht.«
    »Einmal?«
    »Ja.«
    »Zweimal?«
    »Ja.«
    »Dreimal?«
    »Ja.«
    »Sechsmal?«
    »Ja.«
    »Siebenmal?«
    »Ja.«
    Er war von Zahl zu Zahl immer leiser geworden, oder meine Ohren waren schlechter geworden, nun kam er nahe an mich heran und drückte die Augen fest zu, damit er mich nicht sehen musste, und hielt sich seinen fetten Zinken mit der Faust zu, damit er mich nicht riechen musste, und flüsterte, mir kam jedenfalls vor, dass er flüsterte:
    »Du siehst beschissen aus, Jimmy. Und du riechst nach Tod. Es wäre besser für dich, wenn du krepierst.«
    Dann drehte er sich von mir weg, holte tief Luft, zog die Hose aus und wusch einen Kotzfleck heraus. Er hatte erbärmlich verbeulte Knie und Krampfadern.
    »Kann sein, dir steckt ein Knochensplitter im Hirn«, sagte er, und seine Stimme klang sachlich. »Das gibt es. Ich habe einmal einen solchen Fall gehabt. Der

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