Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
solle mir helfen, ich wolle erst klein anfangen, erst einmal nur mit ›Mama‹. Ich bemühte mich: »M… M…«, traute mich und baute weiter aus: »Mmmmaaa …«, aber spürte, es würde gleich wieder etwas anderes daraus werden, weil sich im Hals ein ›t‹ meldete, das nach oben drängte, und hinter dem ›t‹ ein ›e‹, und dass daraus zwingend ›Mathematik‹ würde, die ja gar nichts hier zu suchen hatte, und ich hielt weiter das »Mmmmaaa …« und fasste den Gott in meinen Gedanken fest bei den Armen, damit er nicht vergesse, dass er in diesem Moment von mir auf sein Wort hin geprüft werde, das Staff Sergeant Winship in seiner Vertretung mir gegeben hatte, und dass er bitte nicht versagen solle, weil ich sonst das Vertrauen in ihn verlöre, und nun gelang es mir: »Mama.«
»Mein András!«, rief sie.
Und ich sagte noch einmal: »Mama.«
»Mein lieber kleiner András«, schluchzte sie, »mein Liebling, mein Herzblatt«, und lachte zugleich, »mein armer Liebling«, und bedeckte die wenigen Hautflecken zwischen den Verbänden mit ihren Küssen.
Ich dachte, ich möchte jetzt sagen, dass sie sich das Herz nicht mit Sorgen beschweren müsse, weil ich das auch nicht tat. Aber wie sollte sie sich das Herz leicht halten, wenn ihr Sohn ein Mörder war und selber halbtot gehauen! Da war mir auf einmal, als würde mir der Gott die Macht verleihen, in das Nichts hinein seine süße, farbenreiche, satte Wirklichkeit zu gründen, und zwar schlicht, indem ich ein Wort aussprach und hinter dieses erste Wort ein zweites setzte und so weiter. Dass ist, was ich sage. Und dass sonst nichts ist. Dass ich darauf vertrauen darf, dass nach dem einen Wort das nächste sichtbar wird, wie wenn Schritt für Schritt der Weg vor deinen Füßen entsteht, wo bis dahin nichts gewesen ist, nicht einmal Nebel oder Grau, nicht einmal Nichts.
Ich fing an und wusste nicht, was am Ende dastehen würde: »Es … ist … besser … wenn du … mich … wenn du mich nicht mehr besuchst.« – Da war es besser, wenn sie mich nicht mehr besuchte.
Ich sagte und wusste wieder nicht, wie das Ende aussieht: »Dann haben wir … nichts mehr … miteinander … zu tun.« – Da hatten wir nichts mehr miteinander zu tun.
Sie schlug die Knöchel gegeneinander: »Aber warum denn, András? Du bist doch mein Kind! Ich steh zu dir, egal, was du getan hast. Bleib bei mir! Gehst du weg? Für immer? Sehen wir uns wieder, wenn wir gestorben sind, András? Sehen wir uns nach dem Tod wieder?«
»Willst du das?«, fragte ich. Da wollte sie es.
»Das will ich, bitte, bitte, das will ich«, flehte sie.
»Dann will ich … es … auch«, sagte ich. Und da wollte ich es auch.
Sie legte ihren Kopf auf meine Achsel und weinte und weinte, ohne ihre Stimme zu zügeln, weinte auf dem Buchstaben Ä, der ihr rein, und nur durch ihre Atmung unterbrochen, aus dem Mund fuhr wie im Märchen der Geist aus der Flasche. Ich streichelte ihr übers Haar. Ich fühlte mich wohl! Und der Gott hatte den Test bestanden!
Meine Mutter und ich waren nicht allein in dem Raum. Ein Uniformierter stand an der Wand, den bemerkte ich erst jetzt. Es war der junge Polizist. Er schaute auf den Boden vor seinen Füßen und bewegte sich nicht. Ich sah die Tränen, die ihm über die Wangen liefen.
Ich sagte nun doch zu meiner Mutter, und sagte es so laut, dass der Beamte mithören konnte: »Sorge dich nicht, Mama. Es kann mir nichts passieren.« Von Wort zu Wort erinnerten sich die Buchstaben und die Laute an sich selbst, und ich berichtete, dass mir der Gott begegnet sei, und bald konnte ich fast wieder sprechen wie zuvor, und ich erzählte, dass mir einer seiner Abgesandten versprochen habe, dass ich nicht verrecke und dass ich nie im Leben Angst zu haben brauche.
»Mein Andres«, sagte sie, »én András. Kedves András.« Dabei betrachtete sie sich in dem Spiegel über dem Waschbecken der Wand gegenüber, zog einmal rasch die Wangen ein und konnte den Blick nicht von ihrem Bild lösen.
An den Tagen, an denen Mama, Papa und Moma als Zeugen aufgerufen waren, weigerte ich mich, im Gerichtssaal zu erscheinen.
Den jungen Polizisten befahl der Herr Staatsanwalt ebenfalls in den Zeugenstand. Seinen Namen habe ich mir gemerkt: Polizeimann Paulus Vogt, wohnhaft in Schaan. Er trug vor Gericht einen dunklen Anzug und nicht seine Uniform, und er nickte mir freundlich zu. Das sei korrekt, er habe an diesem Morgen im Krankenhaus Dienst gehabt und er habe geweint, sagte er aus. Er habe
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