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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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versprechen müssen, es mir nicht zu sagen. Manche Versprechen, sagte er, halte er, manche eben nicht. Er sprach eine Spur zu leise. Zu den Sitzungen schleppte er ein großes Aufnahmegerät, zwei Mikrophone mit Stativen und eine Schachtel voll Tonbänder mit. Alles, was wir sprachen, nahm er auf. Erst als ich ihm erzählte, wie ich an Pfingsten mit Frau Lundin im Café am Minigolfplatz oben bei der Schattenburg gesessen und wie sie mir Jannas Traum erzählt hatte, schaltete er das Gerät ab und sagte, zu diesem Thema mache er sich besser nur Notizen.
    Am meisten interessierte ihn Frau Lundins Satz: »Ich habe hier nichts verloren, ich gehöre nicht hierher, auf und davon sollte ich, jetzt gleich, aufstehen und weg, weg, weg, mein Leben, mein Leben …«
    »So hat sie gesagt?«
    »Ja.«
    »Wörtlich?«
    »Ja.«
    »Und wirklich: ›… mein Leben, mein Leben …‹?«
    »Ja.«
    »So vor sich hingesagt oder ausgerufen? ›… mein Leben, mein Leben …‹ oder ›Mein Leben! Mein Leben!‹?«
    »So vor sich hingesagt, eher.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Nein, sicher nicht.«
    »Sie könnte es auch gerufen haben?«
    »Ja.«
    »Verzweifelt gerufen?«
    »Weiß nicht.«
    »Aber über den Wortlaut sind Sie sich sicher?«
    »Ja.«
    »Absolut sicher?«
    »Ja.«
    »Könnte es sein, dass Sie sich den Satz deshalb so gut gemerkt haben, eben weil ihn Frau Lundin so nachdrücklich gesagt hat?«
    »Kann sein, ja.«
    »Also exakt, wie ich sagte, dass sie ihn mit Verzweiflung gesagt hat?«
    »Ja.«
    »Auch mit Zorn? Kann das sein? War sie zornig? Ob das sein kann.«
    »Ja.«
    »Mit Zorn also auch.«
    »Ja.«
    »Eher mit Zorn oder eher mit Verzweiflung?«
    »Beides.«
    »Könnte es sein, dass sie den ersten Teil mit Zorn, den zweiten Teil mit Verzweiflung gesagt hat?: ›Ich habe hier nichts verloren, ich gehöre nicht hierher, auf und davon sollte ich, jetzt gleich, aufstehen und weg, weg, weg‹ – dieses mit Zorn und ›mein Leben, mein Leben‹ mit Verzweiflung? Kann das sein? Ob das sein kann. Ich frage nur, ob es sein kann.«
    »Ja, kann sein.«
    »Genau so war es, nehme ich an.«
    »Ja.«
    Er nickte und schrieb. Eine Seite voll. Währenddessen synchronisierte ich Atmung und Herzschlag, sah geradeaus und dachte nichts.
    Endlich fuhr er fort: Für das Geld, das man neben der Leiche gefunden habe, würden sich der Richter und die Geschworenen besonders interessieren. Ich wollte ihm die Wahrheit sagen; dass ich das Geld mit Hilfe von Jannas Geburtsdatum aus dem Safe genommen hatte und dass ich nur zu diesem Zweck nach Liechtenstein gefahren sei, ich nämlich der Meinung gewesen sei, die Lundins seien in St. Moritz. Er ließ mich nicht zu Wort kommen. Brüllte mich sogar nieder. Ihn interessiere die Wahrheit, ja, ja, ja – aber, wie ich bestimmt schon gemerkt habe, die Wahrheit in einem weiteren Sinn; also, was der Richter und die Geschworenen für die Wahrheit halten könnten . Und das könnte sich folgendermaßen darstellen: Frau Lundin wollte auf und davon, weg, weg, weg, aber ihr habe der Mut gefehlt, diesen großen Lebensschritt allein zu tun; sie habe versucht, mich, den Angeklagten, zu gewinnen, mit ihr zu gehen; sie habe mich, den Angeklagten, umgarnt und mir Komplimente gemacht, mich den außerordentlichsten Menschen genannt, der ihr je begegnet sei und ihr je begegnen werde. Aber der Angeklagte sei darauf nicht eingegangen. Darum versuchte sie es bei Bebe. Bei ihrer Hausangestellten war sie offensichtlich erfolgreicher. Die beiden hatten gerade gemeinsam den Safe geleert, als der Angeklagte dazwischenkam. – Was ich davon halte.
    »Weiß nicht«, sagte ich.
    »Könnte es so gewesen sein?«
    »Nein.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil es nicht so war.«
    »Wissen Sie, warum Frau Lundin nicht mit ihrer Familie nach St. Moritz gefahren ist?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, was Frau Lundin und Bebe miteinander gesprochen oder besprochen haben, bevor Sie ins Haus gekommen sind?«
    »Nein.«
    »Also wissen Sie auch nicht, ob die beiden beabsichtigten, den Skiurlaub der Familie auszunützen und den Safe auszuräumen und mit dem Geld abzuhauen?«
    »Weiß ich nicht, nein.«
    »Also könnte es so gewesen sein? Ich frage nur, ob es so gewesen ein könnte . Könnte es?«
    »Ja.«
    »Hat Bebe Geld eingesteckt?«
    »Nein.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Könnte es sein, dass Sie es nicht wissen, weil Sie das Bewusstsein verloren haben?«
    »Weiß nicht.«
    »Könnte es sein? Könnte, könnte,

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