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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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den Adlatus oder mich anzusehen, er wolle nicht bis Lichtaus warten, und falls er gestern versprochen habe, heute Abend einen Jass zu klopfen, möge man ihn entschuldigen, er sei einfach zu müde. Er gähnte künstlich und klopfte sich mit der Faust gegen die Brust und schmatzte. Ich kannte mich wirklich nicht mehr aus. In meiner Ahnungslosigkeit fragte ich den Adlatus, was mit ihm sei, ob er sich nicht wohl fühle, ob ich nach einem Wärter rufen solle. Er sah schrecklich aus, die Haut um den Mund und um die Stirn waren grünlich weiß und feucht, die Augen groß und gelb und mitten darin ein winziger schwarzer Punkt. Er eilte zum Wasserhahn, trank, dass ich meinte, er müsse gleich platzen. Und brüllte: »Huraseich, ebbada isch an Scheiß, an Scheiß isch da!«, und begann mit seinem Auf- und Abgehen, fünf Schritte hin, fünf Schritte her. Und ging bis spät in die Nacht hinein.
    Irgendwann in der Nacht erwachte ich, weil ich spürte, dass sich die Matratze auf einer Seite nach unten wölbte. Der Adlatus hatte sich auf mein Bett gesetzt. Er war ruhiger geworden, aber seine Hände zitterten noch. Er hielt mir eine von seinen Selbstgedrehten hin und deutete auf das Fenster. Wir stiegen auf den Tisch und rauchten. Er bemühte sich, deutlich und hochdeutsch zu sprechen und sich nicht zu verhaspeln. Nach jedem zweiten Wort hielt er inne und atmete durch. Dass er auch gern einen Cadillac Eldorado Biarritz 1959 hätte, er auch. Dass er nicht glaube, dass ich ein abgeputzter verlogener Hund sei, er nicht. Dass er sich freue, dass ich hier sei und unter seinem Bett schlafe. Und ob ich wisse, wie viel PS der Cadillac Eldorado Biarritz 1959 habe.
    »Dreihundertfünfundvierzig«, antwortete ich.
    Und ob ich wisse, dass Elvis Presley drei davon besitze.
    »Nein, weiß ich nicht.«
    Und zwar einen roten, einen weißen und einen blauen.
    Er machte eine Pause. Im Licht der Scheinwerfer sah ich, wie er sich vorredete, was er gleich sagen wollte. Er hielt meine Hand fest, wie er sie gehalten hatte, als er mir die Batterien gab. Und ob ich wisse, dass der Cadillac Eldorado Biarritz 1959 mit einem elektrischen Radioantennenheber, mit elektrisch verstellbaren Sitzen, elektrischem Kofferraumöffner, elektrischem Fensterheber und Servolenkung ausgestattet sei. Ja, das wisse ich, sagte ich. Und ob ich schon jemals einen gesehen hätte. Ja, sagte ich. Er auch, sagte er, in Madrid. Ich in Wien, sagte ich. Er freue sich, dass wir beide Kollegen seien in der Werkstatt, sagte er. Ob ich weiter böse auf ihn sei wegen der Batterien.
    »Nein«, sagte ich, »ich bin nicht böse.«
    Ob ich mir ganz sicher sei.
    Ich tat, als ob ich lachte, und sagte: »Wenn du mir noch eine von deinen Selbstgedrehten gibst, bin ich mir ganz sicher.« Erst wollte ich wieder seinen Namen anhängen, aber in der Vorsicht dachte ich, es wäre besser, es nie wieder zu tun.
    Wir stiegen vom Tisch herunter, er gab mir zwei Zigaretten, ich legte sie unter mein Kopfkissen.
    In der ersten Dämmerung wachte ich noch einmal auf. Ich bildete mir ein, ich hätte den Adlatus brüllen hören. Ich zupfte das Wachs aus meinen Ohren und lauschte. Hatte er schlecht geträumt? Oder ich? Wahrscheinlich hatte ich schlecht geträumt. Wie hätte ich ihn durch das Wachs hindurch hören sollen? Dissi zuckte mit einem Bein. Quique Jiménez schnarchte tief aus dem Rachen heraus, manchmal setzte sein Atem aus, und endlich krachte die Luft wie durch ein zersplitterndes Sperrholzbrett in ihn hinein. Der Zellenvater blies beim Ausatmen die Backen auf und schmatzte nach. Aus dem Bett vom Italiano hörte ich nichts. Über einen Vogel vor dem Fenster wäre ich sehr dankbar gewesen. Schön wäre auch das Rascheln von Blättern gewesen. Die Luft, die durchs Fenster fiel, roch nach Teer vom Dach der Wäscherei. Ich pfiff leise. Der Italiano drehte den Kopf zu mir. Er war wach gelegen. Der Adlatus brüllte. Ich drückte das Wachs zurück in meine Ohren.
    Aber ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich hätte gern das Radio eingeschaltet und auch einen Nachtvortrag gehört, gleich zu welchem Thema. Nach Lichtaus war es streng verboten, das Radio einzuschalten. Zellenordnung nach dem Zellenvater. Aber wenn einer nicht schlafen konnte, borgte er es sich dennoch aus und legte das Ohr auf den Lautsprecher. Das Radio stand nicht auf dem Tisch. Ich nahm an, der Italiano hatte es bei sich. Ich rechnete ein bisschen.
    1 Minute = 60 Sekunden. 1 Stunde = 3600 Sekunden. 1 Tag = 86.400 Sekunden. 1 Jahr = 31.536.000

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