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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Nudelgerichte, Dissi über Chöre, Soprane und Tenöre, Quique Jiménez über Schokolade und dunklen französischen Tabak, der Zellenvater über Sportübertragungen jeglicher Art – nein, der Adlatus hatte vor nichts Angst, und ich hatte nicht feststellen können, dass er sich über etwas freute. Mir fiel die Geschichte aus der Bibel ein, die Opa erzählt hatte. Angenommen, dachte ich, während der Zellenvater neben mir die Backen aufblies und nachschmatzte, angenommen, ein einziges von den zweitausend Schweinen, die Jesus aus dem Mann ausgetrieben hatte, war übrig geblieben, es war am Rand gestanden und hat sich unauffällig verhalten und war den anderen nicht in den See nachgelaufen und hatte also überlebt. Mit einem Teufel in seinem Leib. Und dieser Teufel hatte, bevor er den Mann verließ, ein Stück Mensch aus ihm herausgebissen, wie Opa vermutete, und hatte nun das Stück im Leib. Es waren also in einem: ein Schwein, ein Teufel, ein Mensch. Und jeder wollte sein, der er war. Und sie hatten sich geeinigt: Einmal sehen wir aus wie ein Schwein, ein nächstes Leben lang sehen wir aus wie ein Teufel, ein übernächstes Leben lang sehen wir aus wie ein Mann. Aber immer sind wir Schwein, Teufel, Mensch in einem. Und sie haben sich fortgepflanzt bis herauf zum Adlatus. Der Adlatus hatte vor nichts Angst – und hier baue ich spätere Erkenntnis in meine Interpretation ein –, denn instinktiv erfasste er, dass der Zellenvater die eigenen Wunden weniger fürchtete als die Wunden seiner Gegner, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass seine Kraft im äußersten Fall von den Instinkten der Selbsterhaltung nicht abgebremst würde. Dieses Wissen und sein Gewissen würden den Zellenvater davon abhalten, Gewalt anzuwenden – noch einmal in seinem Leben Gewalt anzuwenden –, und wäre es auch, um seinen Liebling zu beschützen.
    Wenn er eingeschlafen war, stemmte ich vorsichtig seinen Arm von meiner Seite, stieg herunter von seinem Bett und kroch in meines – unter dem des Adlatus. Das Wachs steckte ich nicht mehr in meine Ohren.
     

8
     
    Der Zellenvater stand mit dem Rücken zur Werkstatt vor der Werkzeugwand, den Kopf im Nacken, ich war am anderen Ende der Halle und hatte ihn im Blick. Ihm war eine Erhöhung des Budgets in Aussicht gestellt worden, weil in letzter Zeit einige saubere Aufträge eingegangen waren. Da stieß er plötzlich einen Schrei aus, warf die Arme in die Luft, der Kuli und der Schreibblock flogen in hohem Bogen über die Hebebühne, und sackte in sich zusammen. Einer der Gehülfen sprang zu ihm, kniete neben ihm nieder und fühlte seinen Puls. Als ich bei ihm war, hatte er das Bewusstsein wiedererlangt. Er setzte sich auf, die Beine ausgestreckt und gegrätscht vor sich, hatte einen Ausdruck fremden Erstaunens im Gesicht, ich meinte, er erkenne mich nicht. Er zeigte auf mich und lächelte verschämt, und ich wusste, er war wieder angekommen. Jemand solle den Boden aufwischen, brummte er und erhob sich, wehrte meine Hilfe ab, das sei ja lebensgefährlich, wenn einer auf dem Öl ausrutsche. Seine rechte Hand zitterte, die Finger krampften sich ineinander. Tatsächlich hatte einer der Gehülfen Kühlwasser verschüttet, das mit dem Schmierfett und dem Öl, das sich in jeder Werkstatt am Boden ablagert, einen Schmer bildete. Was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Der Zellenvater war nicht ausgerutscht.
    Er wollte nicht darüber sprechen. Und wollte nicht, dass ich mit jemandem darüber spreche. Aber die Gehülfen redeten, und so erfuhr auch der Adlatus davon. Er war nicht in der Werkstatt gewesen, hatte im Hof an einem Citroën DS 21 gearbeitet. Ich schärfte den Gehülfen ein, sie sollten ihren Mund halten; aber am Abend in der Zelle wussten Quique Jiménez und Dissi davon.
    Nach Lichtschluss wünschte sich der Zellenvater, dass ich mich zu ihm lege. Er war bedrückt, wollte es mir aber nicht zeigen. Ich glaube, er fürchtete, er könnte einschlafen und nicht mehr aufwachen. Er sagte, was schon Major Hajós in meinem wüsten Sterbetraum zu mir gesagt und was im selben Traum Staff Sergeant Winship bestätigt hatte, dass nämlich der Mensch in seinem Leben nur für einen einzigen anderen Menschen Sorge tragen müsse und nicht für mehrere, für eine Sechserzelle voll Menschen oder für eine Gemeinde oder für die ganze Welt, sondern nur für einen einzigen. Er legte meine Hände zwischen seine Hände und flüsterte in mein Ohr.
    »Aber woher sollen wir wissen, wer der Richtige ist?« Seine Stimme

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