Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
rossa, Bandiera rossa.
Avanti o popolo, alla riscossa,
Bandiera rossa trionferà.
Bandiera rossa la trionferà
Bandiera rossa la trionferà
Bandiera rossa la trionferà
Evviva il comunismo e la libertà.
»Bitte, lüge für mich«, flüsterte mir Allegra zu. »Ti prego, mio amante, menti per me! Sei ein anderer, nur für ein paar Minuten, bitte! Bitte!«
Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben ein Mikrophon vor mir. Es wurde still im Saal. Meine Füße standen nebeneinander, meine Hände lagen an der Hosennaht. Alle sahen zu mir auf. Neben mir saßen an einem Tisch der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Bildungs- und Jugendaustausch und ein Genosse und eine Genossin vom Zentralkomitee, hinter mir an der Wand hingen Marx, Engels, Lenin in Schwarzweiß und Leonid Breschnew in Farbe und Uniform mit unzähligen Orden auf der Brust. Ich sah, wie Allegra in der ersten Reihe den Kopf nach hinten legte, wie sich ihr Mund in die Breite zog, ihre Augen lange Schlitze wurden. Als wir mit dem Taxi in den Villenvorort Mauer zum Schulungsheim der Kommunistischen Partei gefahren waren, hatte ich gedacht, wir besuchten eine Frühlingsparty von linken Studenten, wie sie an jedem Wochenende zu Dutzenden stattfanden. Erst jetzt kapierte ich, wie viel dieser Abend für sie bedeutete, dass ihr Auftritt eine lange geplante öffentliche Konversion war, eine Taufe, ein Verrat an ihrer Familie, ihrer Klasse, ihrem bisherigen Leben; sie hatte Vertrauen in mich, dass ich ihr diesen Auftritt nicht vermasseln und dass ich die Rolle, die für den Genossen Riccardo Fantoni vorgesehen war, gut spielen würde, besser sogar, als Riccardo selbst es könnte. Ich sah die erwartungsvollen Augen der Genossen, die auf das Gesicht des Genossen Fantoni gerichtet waren, weil sie etwas zu hören hofften, das anders sein würde, italienisch nämlich, und italienisch hieß originell, mutig, bunt, auf unkonventionelle Weise erhellend, eurokommunistisch eben. Und ich sah in den Gesichtern des Vorsitzenden des Ausschusses für internationalen Bildungs- und Jugendaustausch und der beiden Mitglieder des Zentralkomitees auch Sorge, denn sie waren ein Wagnis eingegangen, die Genossen Pellicano und Fantoni hier sprechen zu lassen – und mir war klar, dass der Genosse Fantoni alle im Saal sehr enttäuschen würde, wenn er sich als ein anderer herausstellte als der, den sie gern hätten …
Meine Füße standen nebeneinander, meine Hände lagen an der Hosennaht, ich sagte: »Il volto è un buon servo ed un cattivo padrone«, steckte zwei Finger zwischen meine Lippen und pfiff.
Und schon waren sie da.
Ihr werdet eure Chance schon noch bekommen, kérem várjon, sagte der Marder und drängte sich vor den Kater und das Rotkehlchen, aber jetzt bin ich dran, das müsst ihr einsehen. Vor Genossen zu sprechen ist meine Spezialität, nicht eure. Oder glaubt einer von euch, er kennt sich im grausamen, aber gerechten Handwerk des Weltgeistes besser aus als ich? Aber wenn ihr mir Ratschläge geben wollt, so will ich sie gern berücksichtigen. Ich, wenn ich reden würde, sagte der Kater, würde ihnen einiges zumuten, das wird ihnen schmeicheln, weil du ihren Mut würdigst; ich würde in sachlichem Ton sprechen, dann werden sie einander zuraunen, so hätten sie die Sache noch nicht betrachtet, allerdings ein wenig italienisch eingefärbt würde ich sprechen. Und du, fragte der Marder das Rotkehlchen, was würdest du tun, my sweet kiss on the ass? Sag schnell, sie warten. Ich? Ich weiß nicht, sagte das Rotkehlchen, ich würde vielleicht ein Märchen erzählen. Ein Märchen würdest du erzählen, fragte der Marder. Warum ein Märchen? Das wird die Genossen erschüttern, sagte das Rotkehlchen, und Allegra wird es bezaubern. Ich danke euch, sagte der Marder, thank you, merci, ich danke euch von Herzen. Er erhob sich auf seine Hinterbeine und streckte sich, dass es knackte und sirrte, ächzte und klirrte. Die Haut dehnte sich, der Pelz auf seinem Rücken sträubte sich auf. Sein Körper wuchs auf seinen kurzen Beinen über sich selbst hinaus und hinauf bis zum Rednerpult empor, und endlich war seine Schnauze vor dem Mikrophon. Genossen, sagte er mit ruhiger, sachlicher Stimme, ein wenig italienisch eingefärbt, Genossen, ich weiß, ich mute euch einiges zu, ich möchte euch ein Märchen erzählen. – Und dann erzählte mein Marder das Märchen von dem Spaßmacher Karl Wiktorowitsch Pauker, der viele war, weil er einmal ein anderer geworden ist, am Ende aber
Weitere Kostenlose Bücher