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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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und den Gott studierten, blieb unser Kommen und Gehen unbemerkt. Allegra arbeitete tagsüber in der Bibliothek, ich reparierte in der Werkstatt das Moped eines Kaplans aus dem Burgenland. So lernte ich auch die Sehnsucht kennen.
    Einmal, als ich auf ihr lag, meine Unterarme unter ihren Schulterblättern und ihrem Nacken, und ihren Kopf an meinen Hals drückte, sprang der Kater aufs Bett und breitete sich über das Kopfkissen, gähnte, zeigte mir sein Raubtiergebiss, schleckte sich über die Nase und schaute mich an mit unauslotbarem Ernst.
    »Woran glaubst du, Joeel?«
    »An das Weltall«, antwortete ich gern.
    »An das Weltall kann man doch nicht glauben, mein Liebling! Was für einen Sinn soll dieser Glaube haben?«
    »Ich weiß, dass es da ist.«
    »Ein Stein ist auch da, Joeel. Und wenn du tief in ihn hineinschaust, findest du darin wieder ein Weltall. An etwas, das ohnehin da ist, braucht man nicht zu glauben.«
    »Aber stell dir vor, Allegra, einer könnte ausrechnen, dass wir Menschen genau zwischen der kleinsten Kleinheit eines Atoms und der größten Größe des Universums stehen, zwischen 10–11 Millimeter und 300 Trilliarden Kilometer. Das würde mich freuen, wenn es so wäre, das würde mich wirklich freuen, wenn wir beide dort stehen würden, Allegra.«
    »Das ist Physik oder Sternenwissenschaft. Die ist weder gut noch schlecht, caro mio. Der Mensch aber hat Bewusstsein. Er macht Geschichte, und die muss einen Sinn haben. Wenn du mir vom Weltall erzählst, denke ich, es ist nur dein Weltall. Die Geschichte aber gehört allen. Deshalb muss man sich um die Geschichte kümmern. Du bist ein eigenartiger Mensch, Joeel.«
    »Das bin ich nicht. Das will ich nicht sein. Sag das nicht, Allegra, bitte, sag das nicht.«
    »Es gibt niemanden, der so ist wie du, Joeel. Darum weiß ich nicht, ob ich mich in dich verlieben soll. Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, was ich für dich empfinde. Aber wenn es Liebe ist, ist es das Heftigste, was ich je empfunden habe.«
     
    Der Kater mochte sie nicht. Sie bemühte sich um ihn, brachte ihm Leckereien mit. Wenn sie ihn streichelte, schlug er zu. Das Rotkehlchen blieb draußen auf dem Fensterbrett sitzen, wenn sie im Zimmer war, und wenn sie den Finger nach ihm ausstreckte, flog es davon. Wir stritten uns wegen der Tiere, und als dann auch noch der Marder zum Fenster hereinkroch und mit gekrümmtem Rücken und gefletschten Zähnen und ohne Furcht vor ihr Stellung bezog, lief sie schreiend zur Tür hinaus und auf die Straße und lief davon und betrat mein Zimmer nicht mehr wieder. Ich konnte sie verstehen. Ich konnte aber auch meine Tiere verstehen. Sie waren eifersüchtig.
    Von nun an verbrachten wir die Nächte im Hotel Fürstenhof beim Westbahnhof. Wir teilten uns die Rechnung. Der Besitzer des Hotels gab uns das Zimmer für den halben Preis. Das Zimmer hatte kein Fenster. Er riet uns zu heiraten. Alles werde dadurch einfacher. Er sei seit dreißig Jahren verheiratet. Die Ehe sei besser als ihr Ruf. Ich fragte Allegra, ob sie mich heiraten wolle. Gleich auf der Straße vor dem Hotel fragte ich sie. Sie ging weiter und gab keine Antwort, einfach weiter Richtung Mariahilfer Straße ging sie, drei Schritte vor mir her. Wenn ich sie einholen wollte, ging sie schneller. Später sagte sie, es sei der glücklichste Moment in ihrem Leben gewesen.
    Am Tag war ich im Heim und tat pflichtbewusst meinen Dienst. Die Studenten staunten wegen meiner Tiere. Sie fragten sich: »Wie ist es möglich, dass Katze, Marder und Rotkehlchen friedlich in einem Zimmer zusammenleben?« Der Sekretär des Erzbischofs erfuhr davon. Er teilte mir über Ernst Koch mit, er sei mehr als erstaunt, erlaube mir aber, die Tiere weiter in meinem Zimmer zu behalten, und nannte mir einen Termin, an dem er mich zum Nachmittagstee in das Erzbischöfliche Palais hinter dem Stephansdom einlade.
     

9
     
    Allegra war Tochter und einziges Kind von Edoardo Pellicano, dem Besitzer eines der größten Autozuliefererbetriebe von Turin und damit von ganz Italien. Außerdem war er seit drei Jahren im Kaffee- und Kakaohandel tätig und importierte seltene Nüsse und Süßgewürze wie Vanille und Tonkabohnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Unter dem Namen Caffè ristretto konnte man in Turin, Mailand, Rom, Florenz und Triest Kaffeehäuser und Konditoreien finden, die verschiedene Schokolade- und Kaffeesorten anboten, was damals in Europa nicht üblich war. Kommerziell und strukturell an McDonald’s sich orientierend,

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