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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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nicht verurteilten – es sei bereits eine Pressemitteilung versandt worden. Ob ich Lust hätte, an einem Schulungsseminar über Dialektik teilzunehmen. Ja, das hätte ich, sagte ich. Sie sprach von lachenden Kubanern und dem schönen Zerfall alter imperialistischer Villen und Limousinen, die gleichsam die Klasse gewechselt hätten und nun tapfer und edel dem Tod entgegensähen. Ob ich Interesse hätte, Kuba kennen zu lernen. Ja, das hätte ich, sagte ich. – Und was sagte ihr Gesicht? Du bist wie ich, sagte es, hab ich recht? Schwör mir, dass ich recht habe, schwöre es mir, bitte, schwöre es mir!
    Wir blieben bis zum Abend im Altwien und verabschiedeten uns auf der Straße. Riccardo nannte mich »Amico mio«. Allegra sagte: »Ciao, Joel«, wobei sie das e betonte und dehnte und mir damit einen neuen Namen gab – Joeel.
     
    In der Nacht wartete ich bei Vera.
    Und Allegra kam. Allein.
    Wir setzten uns in die hinterste Ecke bei den Billardtischen und hielten uns an den Händen. Sie sagte, sie sehe in meinem Gesicht etwas, das sie nicht für möglich gehalten habe. Und das wolle sie immer wieder sehen.
    »Du bist wie ich«, sagte sie, »habe ich recht? Schwör mir, dass ich recht habe! Ich darf das den Genossen nicht erzählen. Erzähl es du ihnen auch nicht, bitte!«
    »Wann sollte ich es denn deinen Genossen erzählen?«, sagte ich. »Bei welcher Gelegenheit denn?«
    »Und sag es auch nicht Riccardo, bitte.«
    »Warum solle ich es Riccardo sagen? Und was soll ich ihm nicht sagen?«
    »Ich habe solche Angst gehabt. Ich habe mich verflucht, weil wir nichts ausgemacht hatten. Mein Gott, wenn ich dich nie mehr gesehen hätte! Ich weiß gar nichts von dir, nur deinen Namen, nur deinen Vornamen. Und du weißt von mir nur meinen Vornamen. Ich habe zu Riccardo gesagt, ich möchte allein sein, und bin in der Stadt herumgegangen und mit der Straßenbahn gefahren, und immer habe ich nach dir Ausschau gehalten. Ist die Frau hinter der Bar Vera, der das Café gehört? Sie schaut sehr freundlich. Dreh dich nicht um, sie schaut jetzt grad herüber. Sie sieht es gern, dass du mit mir bist. Ich bestelle noch etwas für uns. Soll ich Alkohol bestellen? Ich bestelle einen Tee. Oder eine Cola. Oder einen Espresso? Was trinkst du? Ich trinke, was du trinkst.«
    Wir schlichen uns in mein Zimmer in der Boltzmanngasse. Der Kater verzog sich in einen Winkel, das Rotkehlchen auf die Vorhangstange. Als ich mit Hemma geschlafen hatte und mit Lore, war mir gewesen, als kennte ich es längst, als hätte ich viel Sex hinter mir, und beide hatten gesagt, ich sei ein guter Liebhaber, und auf meine Frage, was sie damit meinten, hatten sie präzisiert: ein erfahrener Liebhaber, eben einer, der die Frauen kennt; und sie hatten sich nicht darüber gewundert. Allegra war die erste. Und ich stellte mich an wie beim ersten Mal. Sie fragte, ob sie meine erste sei, und ich sagte ja. Sie wunderte sich nicht. Sie legte den Kopf schräg nach hinten, ihr Mund zog sich in die Breite, und sie blinzelte mich aus engen Augen an. »Ich glaube dir«, sagte sie.
    Ich erzählte ihr mein Leben. Von meinen Eltern erzählte ich, die in Graubünden mit dem Auto in eine Schlucht gestürzt und umgekommen seien. Dass mich meine Tante aus Solothurn in der Schweiz zu sich genommen habe. Sie war bei einem Coiffeur angestellt und bewohnte das Hinterzimmer des Ladens. Ich war dreizehn und schlief mit ihr in einem Bett. Im Winter ließen wir die Tür zum Frisiersalon offen. Bis zur Hälfte der Nacht reichte die Glut in dem kleinen Kachelofen. Dann heiratete meine Tante den Besitzer einer Autowerkstatt, der war ein Riese, hatte einen Kopf, auf den kein Hut passte. Er nahm mich als Lehrling und war immer gut zu mir. Wir hatten den besten Ruf im Kanton, einmal haben wir sogar einen Cadillac Eldorado Biarritz 1959 repariert, von dem hat es nur tausenddreihundert Stück weltweit gegeben. Wenn meine Tante betrunken war, benahm sie sich nicht schön. Ihr Mann sagte: Jemanden, der sich so benimmt, den muss man behandeln wie jemanden, der sich so benimmt. Der Streit war mir bald zu viel, darum bin ich weg. Ich will, dass aus mir etwas wird.
    »Aus uns kann alles werden«, sagte Allegra.
    »Wiederhol das!«, sagte ich.
    »Alles kann aus uns werden.«
     
    Sie zog zu mir. Das heißt, wir schlichen uns in der Nacht ins Heim, und zu Mittag schlich sie sich hinaus. Weil mein Zimmer im Parterre gleich neben dem Eingang lag und die braven Theologen nachts schliefen und mittags im Seminar aßen

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