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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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beabsichtigte er, den Amerikanern in Italien zuvorzukommen und eine eigene nationale Fast-food-Kette aufzubauen. Nur kein Junk! Wer einen Bugatti oder einen Maserati , einen Lamborghini oder einen Ferrari fahre – oder sich vorstellen könne zu fahren –, wer seine Anzüge bei Gucci , die Handtaschen bei Prada , die Schuhe bei Salvatore Ferragamo kaufe – oder sich vorstellen können zu kaufen –, der würde sich, auch wenn er es eilig habe, nicht mit einem Kaffee aus dem Pappbecher und einem pinkfarbenen Donut zufriedengeben. Das Autozubehör, so würde mir Signore Pellicano erklären, während er seinen Arm um mich, seinen künftigen Schwiegersohn und Erben, legte, sei die Pflicht, der Kaffee und das Süße die Kür.
    Allegra liebte ihren Vater und litt unter dieser Liebe, weil sie ihn zugleich hasste. Die Liebe kam aus ihrem Herzen, der Hass aus dem Kopf. In letzterem war sie Kommunistin – mit anarchistischen Neigungen und einer Gier nach Klassenverrat. Ihr Vater war immerhin der sechstreichste Mann Italiens, ein Lebensspieler, der über alles in der Welt lachen konnte, über die großen Augen der Armen nicht weniger als über den großen Dünkel der Reichen. Außerdem warf sie ihm ihrerseits Klassenverrat vor. Er war der Sohn eines ehemals bekannten Kommunisten, der 1921 gemeinsam mit Amadeo Bordiga und Palmiro Togliatti den PCI gegründet und bis zu seiner Verhaftung durch die Faschisten als Sekretär von Antonio Gramsci gearbeitet hatte. Edoardo Pellicano hielt das Andenken an seinen Vater hoch, indem er die Stadtverwaltung von Turin geschmiert hatte, damit sie ein Sträßchen nach dem Alten benenne. Er war mit dem Verleger und Multimillionär Giangiacomo Feltrinelli befreundet gewesen und hatte sich über dessen dandyhaften Linksradikalismus amüsiert, auch dann noch, als sich Feltrinelli beim Anbringen einer Dynamitladung an einem Hochspannungsmast aus Versehen selbst in die Luft sprengte – was Allegra für eine Lüge des Klassenfeindes hielt, sie war überzeugt, er war ermordet worden. (Es sei erwiesen, legte sie mir haarklein dar, dass an seinen Händen keine Spuren einer Sprengung festgestellt wurden – »Oder glaubst du, er hat das Dynamit mit drei Meter langen chinesischen Essstäbchen angebracht?« – und dass der Kopf Merkmale von Schlägen mit einem dumpfen Gegenstand aufgewiesen habe; weiters seien einige der Ermittler Mitglieder der Geheimloge »P2« gewesen, die bekanntlich enge Verbindungen zur Democrazia Cristiana und zur Mafia unterhalte, und die hätten Beweismaterial verschwinden lassen.) Feltrinelli hatte Allegra zu ihrem achtzehnten Geburtstag das Bolivianische Tagebuch von Che Guevara geschenkt; er war dem Revolutionär in Kuba begegnet und hatte das Buch nach dessen Tod in seinem Verlag herausgebracht. Sie fuhr nach Kuba, war auf Vermittlung von Feltrinelli für eine Woche Gast der Partido Comunista de Cuba und wurde von José Ramón Machado Ventura, dem ersten Sekretär der Partei der Provinz Havanna, betreut. Seither sehnte sich Allegra nach etwas, wofür es sich zu sterben lohnte.
    »Ich im Gegenteil bin wie mein Kater, mein Marder und mein Rotkehlchen«, flüsterte ich ihr zu, »ich will nicht sterben, es gibt nichts, wofür ich sterben wollen würde.«
    »Aber es gibt einiges, wofür dein Kater, Marder und sogar dein Rotkehlchen töten wollen würden«, antwortete sie ebenso leise, aber aus scharf geschnittenen, bitteren Lippen; einem Ausdruck, an den sie und ich nicht glaubten – ihre Genossen aber schon.
     
    Apropos Genossen.
    Allegra bekam viel Applaus, als sie das Podium verließ, so viel Applaus, dass sie noch einmal vor das Mikrophon trat und sich bedankte. Sich als Abkömmling der Hochbourgeoisie dem Kampf der Arbeiterklasse anzuschließen, sagten die Genossen, erfordere Kraft und Selbstlosigkeit. Die Genossin Allegra Pellicano, sagte der Genosse Vorsitzende, sei wahrlich ein Vorbild, einer Rosa Luxemburg gleich, die nicht die Augen verschließe vor dem Unrecht in der Welt und nicht zurückschrecke vor dem »grausamen, aber gerechten Handwerk des Weltgeistes«. Der Saal klatschte, dass es nur so knallte.
    Dann sagten die Genossen, nun solle ich meine Geschichte erzählen. »Genossinnen und Genossen, wir bitten den Genossen Riccardo Fantoni ans Rednerpult«, kündete mich der Genosse Vorsitzende an.
    Die Genossen, die neben Allegra und mir saßen, klopften mir auf die Schultern und sangen, und bald sangen alle im Saal:
     
Avanti o popolo, alla riscossa,
Bandiera

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