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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Wimpernschlag. Damit aber könnten sich Menschen, die töten wollen, nicht zufriedengeben. Jemanden zu töten sei ein Genuss. Darum schicken sie dem Tod die Qual voraus. Die fünf stellten sich um mich herum auf, damit ich ihnen nicht entkommen konnte. Der Nagel und sein Schatten postierten sich in meinem Rücken, ihre Aufgabe war es, mich zu Fall zu bringen, falls ich zu fliehen versuchte. Die drei vor mir waren Dealer, die selber an der Nadel hingen, ich kannte sie flüchtig. Der erste hatte grindig aufgeschürfte Schläfen, die Haare waren bis zum Zenit des Schädels hinauf geschoren; er trug eine weiße, mit Spitzen verzierte Frauenbluse, darunter nichts als seine kreuz und quer tätowierte Haut; statt eines Gürtels hatte er sich ein rotes Tuch umgebunden, dessen Enden bis zu den Knien reichten; er war barfuß. Der mit dem Bullterrier am Lederriemen, der zweite, steckte in einer engen schwarzen Lederhose, die deutlich sein Geschlechtsteil abzeichnete, sein Oberkörper war bloß und behaart; seine Finger steckten in Handschuhen mit funkelnden, pyramidenförmigen Nieten über den Gliedern. Der dritte, der mit der Kette und dem Baseballschläger, hatte oben keine Zähne, er streckte die Zunge durch die Lücke, weil er ohne Unterbrechung das Zahnfleisch ausprobieren musste. Er sprach. Dass sie sehr gern tun, was sie gleich tun. Dass sie mir sehr gern sagen, was sie gleich tun. Weil es sein kann, dass ich nicht mitkriege, was sie tun. Wie das Werkl enden wird, wissen sie nicht. Weil sie das dem Hund überlassen. Sie bereiten mich für den Hund vor. Das ist es, was sie tun. Ich hatte den Sekretär des Erzbischofs gefragt, ob es sich tatsächlich so verhalte, dass Jesus Christus für alle Menschen gestorben sei, also dass er sich für alle Menschen zuständig und verantwortlich gefühlt habe, für die Huren und Diebe, die Mörder und Lügner ebenso wie … – »… ebenso wie für den Sekretär des Erzbischofs«, ergänzte er, ohne zu lächeln, und ich lächelte auch nicht. Ja, sagte er, so verhalte es sich, für alle Menschen sei der Heiland gestorben, für alle, die zu seiner Zeit lebten, für alle, die vor seiner Zeit gelebt hatten, und für alle, die nach seiner Zeit leben würden. Ob man sich vorstellen könne, wie sich jemand fühle, der etwas so Herrliches tue, fragte ich. Er sah mich lange an, endlich sagte er: »Bei jedem anderen würde ich gehässige Ironie hinter dieser Frage vermuten. Bei dir nicht, Joel Spazierer. Lachen ist die Fratze der Lüge, das Antlitz der Wahrheit ist ernst.« »Ich lache fast nie«, sagte ich. »Deine Frage überrascht mich und überrascht mich zugleich auch nicht«, fuhr er fort. »Sie überrascht mich, weil sie noch niemand gestellt hat. Sie überrascht mich nicht, weil sie mich beschäftigt, seit ich denken kann. Ich glaube, es muss ein unbeschreiblich schönes Gefühl sein, sich für die Menschheit zu opfern, ein Gefühl, das an Glückseligkeit übertrifft, was Menschen erleben können.« Wie Heroin, musste ich denken. So ähnlich jedenfalls hatte mir Lore das Gefühl beschrieben, wenn sie den Gürtel vom Oberarm löst und das Gift in ihr Hirn eindringt. Der mit dem Bullterrier fragte, ob ich bereit sei. Sein Tier bäumte sich auf und fletschte die Zähne. »Bereit wofür?«, fragte ich. Der mit den aufgeschürften Schläfen trat nahe an mich heran. Ich spürte seine Fingerspitze in meiner Halsgrube. »Sag’s selber«, sagte er. Irgendwo jammerte ein Kind, das man jäh aus dem Schlaf gerissen haben mochte. Ich hatte den Sekretär des Erzbischofs gefragt, ob er ein Bild des gekreuzigten Christus habe, das er mir schenken wolle. Er zog eine Schublade auf und legte eine Kollektion vor mich auf den Tisch. Auf einem der Bilder waren die Augen des Erlösers schmale Schlitze, sein Mund zog sich in die Breite und in den Winkeln ein wenig nach unten, den Kopf hatte er schräg nach hinten gelegt, und er blickte mich aus schmalen Schlitzen heraus an. Es war ein Ausdruck schmerzlicher, hingabebereiter Leidenschaft. Dieses Bild steckte ich ein.
    »Wofür schlagt ihr mich?«, fragte ich.
    »Wofür sollen wir dich denn schlagen?«, fragte der mit der Zahnlücke zurück. Er setzte sich auf die Gehsteigkante und band sich kräftig die Schuhe und polierte sie mit einem Tempotaschentuch, auf das er spuckte.
    Dass sie mich für Janna schlagen sollen, dachte ich. Weil mir das eventuell angerechnet würde beim Jüngsten Gericht. Und wenn es ohnehin geschähe, hätte es etwas Gutes.
    Sie schlugen

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