Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
mich, und ich benötigte drei Tage, um wieder auf die Beine zu kommen, und sechs Wochen, bis die Spuren in meinem Gesicht und an meinem Körper verblasst waren. Cookie half mir. Er besorgte Antibiotika, eine Tetanusspritze, Wundsalbe, Verbandszeug und Schmerzmittel und blieb eine Nacht, in der ich fieberte, bei mir.
8
Darum fuhr ich erst Ende September nach Turin.
Mit Allegras Eltern vertrug ich mich bestens. Sie hielten mich für den idealen Schwiegersohn. Weil ich keine Eltern mehr hätte, sagte Allegras Mutter – Sonja, eigentlich Sofronia –, wolle sie mich Sohn und nicht Schwiegersohn nennen. Sie war groß, von Natur dunkel, färbte ihr Haar aber blond und trug es lang und hinter die Ohren gekämmt. Sie hatte die gleichen starken schwarzen Brauen wie ihre Tochter. Ihre Haut war von künstlicher Sonne gebräunt und etwas ledern, ihre Zähne weiß wie Zahnpasta. Sie stammte aus Bozen in Südtirol und sprach sehr gut Deutsch, wollte aber nicht Deutsch sprechen, Deutsch klinge, als würden vertrocknete Äste zerbrochen, Italienisch dagegen sei weich und geschmeidig wie Mozzarella Burrata. Sie interessierte sich für Musik und Kunst und freute sich, dass ich genau davon keine Ahnung hatte. Das gebe ihr Gelegenheit, vor mir zu prahlen, schäkerte sie. Sie wolle mich in die Schönheit einführen. Ich hörte zu, sah sie direkt an und lächelte, als ob alles, was sie sagte, interessant wäre und nichts auf der Welt interessanter als dies. Ich beugte mich vor, ließ mir mit meinen Antworten Zeit, denn die Fragen waren es wert, mehr als die üblichen Gedanken dafür aufzuwenden.
Mit Allegras Vater verbrachte ich viele Stunden am Tag. Ich besuchte mit ihm die Pellicano-Werke, setzte mir einen gelben Plastikhelm auf, was nicht notwendig gewesen wäre. Er stellte mich den Führungskräften vor und war beeindruckt, weil ich nicht nur Italienisch, sondern auch Französisch und Spanisch und für eine anspruchslose Unterhaltung ausreichend Türkisch sprach. Dass ich obendrein Schwizerdütsch beherrschte, dürfe man nicht hoch genug veranschlagen, die Schweizer seien mächtig, hätten aber einen Minderwertigkeitskomplex und seien deshalb rachsüchtig. Beim Abendessen erfand ich eine Geschichte, wie ich zu all diesen Sprachen gekommen sei; sie geriet mir, denke ich, recht eindrucksvoll. Sogar Violetta, das Dienstmädchen, blieb mit den schmutzigen Tellern in den Händen stehen, um bis ans Ende zuzuhören. Die Geschichte war komisch und rührend in einem, leider habe ich sie vergessen. Dass ich auch Ungarisch konnte, erwähnte ich nicht.
Allegras Vater war kleiner als seine Frau, ein ordentliches Stück kleiner sogar. Er trainierte täglich seinen Körper mit Hanteln, Expander und Sandsack, hatte die Figur eines Boxers und einen kurzen aggressiven Hals. Er liebte Witze. Mit mir sprach er, als kennten wir uns schon lange, besser als Allegra und ich; als wären wir beide Kumpane aus Kindertagen, die Frösche mit Zigaretten zum Platzen gebracht hatten. Sein Plan war, mich als Hauptverantwortlichen seiner Süßwaren- und Kaffeekette Caffè ristretto aufzubauen. Als meine Hobbys gab ich Astronomie und Boxen an, das eine aktiv, das andere passiv. Vor den Sternen hatte er Respekt wie fast alle Menschen und keine Ahnung wie fast alle Menschen. Übers Boxen redete er ausgiebig. Er verstand viel davon. Er erweiterte meinen Heldenkatalog um die Generation vor Muhammad Ali – Joe Louis, Rocky Marciano, Sugar Ray Robinson, Floyd Patterson, Sonny Liston. Bereits nach einem Monat bezog ich ein Büro der Firma Caffè ristretto in der Via Conte Giambattista Bogino gegenüber der Nationalbibliothek. Eine Sekretärin unterstützte mich in meiner Eingewöhnung, eine Dame um die fünfzig, die mich zur Begrüßung dreimal auf die Wangen küsste.
Allegras Mutter bat mich, mir die Haare und den Bart schneiden zu lassen; ihr Mann meinte dagegen, er finde es lobenswert, die Insignien der jugendlichen Wildheit solange wie möglich sichtbar zu halten. Allegra stimmte für Haare und Bart, sie kenne mich nicht anders, und anders wolle sie mich nicht kennen lernen. Wir bewohnten zwei verschiedene Zimmer, in der Nacht schlichen wir zueinander.
Ich legte Wert auf Kleidung, besuchte zusammen mit Allegra den Schneider; auch Schuhe solle ich mir anfertigen lassen, meinte ihre Mutter.
Für Freitag, den 27. Oktober, war der Hochzeitstermin festgesetzt worden, der standesamtliche und der kirchliche, letzterer in der Cattedrale di San Giovanni Battista.
Weitere Kostenlose Bücher