Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
und gekündigt hätte. Wir waren uns einig, unsere gemeinsame Zukunft in Italien aufzubauen. Noch in diesem Jahr wollten wir heiraten. Allegras Eltern hatten einen Hochzeitstermin im Oktober vorgeschlagen; der Oktober sei wettermäßig der stabilste, der blaueste Monat und für ein Nachmittagsfest im Park ihrer Villa am Gardasee ideal.
Die drei verbleibenden Wochen in Wien wollte ich nutzen, um nach Janna zu suchen. Ich hätte ihr gern noch einmal etwas Gutes getan, aber diesmal etwas, das länger anhielte. Vielleicht würde allein schon die gute Absicht beim Jüngsten Gericht in Rechnung gestellt werden. Die Leere ist endlos. Das empfand ich, als ich wieder in meinem Bett in der Boltzmanngasse lag. Darum stand ich bald auf und ging hinaus. Ein jeder behalte seine gute Weise. Wechsel der Weise macht Weise und Gemüt unstet. Meister Eckharts Taschenbuch war mit dem Bonsai verschwunden. Das Türmchen schlug drei Uhr. Ich war unfähig, an den Tod zu glauben, es war eine natürliche Unfähigkeit, so sagte ich dazu, eine Unfähigkeit, die sich erwachsene Menschen nicht eingestehen: Ich weiß, dass ich sterben werde, aber ich glaube es nicht. Jeder Glaube ist voll Hoffnungslosigkeit. Ich will nicht mit gesenkter Stirn gegen den Gott rennen. Ich wollte aber auch nicht unter der Laterne warten, bis er mir wieder begegnet. Er bleibt beständig in der Nähe; und kann er nicht drinnen bleiben, so entfernt er sich doch nicht weiter als bis vor die Tür. Ich fand es als einen Vorteil, für jemanden verantwortlich zu sein, der einem nicht allzu viel bedeutete.
Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich schlenderte am Donaukanal entlang, dort trafen sich die Fixer mit ihren Dealern, und im August lief das Geschäft die ganze Nacht hindurch bis in den Sonnenaufgang. Manche waren meine Kunden gewesen. Ob jemand eine Janna Lundin kenne, fragte ich und beschrieb sie. Ich sagte: »Kennt ihr eine, die bei sich zu Hause einen Bonsai stehen hat?« – »Ja«, sagte einer, »so eine kenne ich, eine dünne blonde Blasse.« – »Was hast du mit ihr gemacht, ha?« – »Ich? Nichts.« – »Und du?«, fragte ich den anderen. – »Ich? Ich kenn sie nur vom Sehen. Weil sie mit ihm geredet hat. Mit mir hat sie nicht geredet, nur mit ihm.« – »Wo wohnt sie?« – »Keine Ahnung.« – »Und wo steht ihr Bonsai? Du hast gesagt, du hast den Bonsai gesehen.« – »Den hat sie bei sich gehabt. Den wollte sie verkaufen. Wer braucht so etwas?« – »Du warst bei ihr!« – »Nein.« – »Gib’s zu!« – »Nein.« – »Sagst du die Wahrheit?« – »Ja.« – »Mit wem zieht sie herum?« – »Weiß nicht.« – »Und du? Weißt du, mit wem sie herumzieht?« – »Nein.«
Der eine lang und krumm, der andere sein Schatten.
»Denkt nach«, sagte ich, »überlegt es euch bis morgen. Morgen komme ich wieder.«
In der folgenden Nacht waren sie zu fünft. Sie warteten bereits auf mich. Sie waren ausgestattet mit Baseballschlägern und Ketten. Und einem Hund. Und was ich verstehen konnte: mit einer Lust zu töten. Der Sekretär des Erzbischofs hatte mir beim Nachmittagstee in der Residenz von den Leiden Jesu Christi erzählt. Man hätte ihn einfach aufhängen können. Aber man hatte ihn ans Kreuz genagelt. Man hätte ihn einfach ans Kreuz nageln können, aber man habe ihn vorher gegeißelt. Man hätte ihn einfach geißeln können, aber man habe ihm zusätzlich eine Krone aus Dornen auf den Kopf gedrückt. Man hätte ihm einfach die Dornenkrone aufsetzen können. Aber man verspottete ihn obendrein und spuckte ihn an. »Wenn Menschen töten wollen«, erklärte mir der Sekretär des Erzbischofs, und während er sprach, schüttelte er kaum merklich den Kopf, »wenn sie den festen Entschluss gefasst haben zu töten, wenn sie darüber nachgedacht und sich darauf vorbereitet haben, dann wollen sie vorher quälen.« Das könne durch die gesamte Geschichte der Menschheit beobachtet werden, davon werde in den antiken Sagen erzählt, das berichte die Geschichte der Christenverfolgung unter Kaiser Claudius und Kaiser Nero bis zu Trajan und Diokletian, dies belegen die zugegebenermaßen schändlichen Hexenverbrennungen ebenso wie die Lager von Auschwitz und Treblinka und Stalins Gulag, und vom gegenwärtigen Bürgerkrieg in Nicaragua höre man Ähnliches. Er habe viel darüber nachgedacht, warum das so sei. Seine Antwort: Der Tod sei nichts weiter als ein Punkt, ein Trennpunkt zwischen Sein und Nicht-Sein. Der Tod sei schneller erledigt als ein
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