Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
machen, Sebastian war in der Stadt, um Bücher zu kaufen, oder spazierte durch den Prater oder beides, stand sie in der Küche und klimperte mit dem Schlüsselbund an ihrem Finger. Wir starrten einander an, wussten nicht, wer mehr recht hatte, den anderen zu fragen, was er hier suche. Ich sagte, ich sei ein Freund von Sebastian. Und sie, sagte sie, sei Sebastians »problematische Beziehung«. Wie sie den Begriff betonte, schloss ich, sie glaube, er habe ausführlich mit mir über sie gesprochen, und zwar in ebendiesen Worten. Das heiße, präzisierte sie, sie lebten zusammen, aber getrennt und in einer nun schon seit fünf Jahren andauernden Phase des Schlussmachens. Ich schätzte sie auf Mitte vierzig, sie war sehr schlank, tiefe Kerben zogen sich von der Nase zu den Mundwinkeln, ihre Unterarme waren sehnig. Sie hatte die Figur eines jungen Mannes, die Kleidung war entsprechend, Jeans und ein kariertes Männerhemd, Ärmel nach oben gekrempelt, ihre Bewegungen wirkten maskulin, zackig, gezielt, als wären sie Teil eines erprobten Ablaufs, zu dem es keine Alternative gab.
»Ich habe noch seine Schlüssel und er meine«, sagte sie. »In Zukunft werde ich klingeln.«
Wir setzten uns in die Bibliothek und tranken grünen Tee, den sie zu stark aufgebrüht hatte. Sie nahm mir das Erzählen ab. Sie war Kuratorin in einem historischen Museum, verwaltete eine Million Fotografien oder weniger. Ich war spaßig, sie lachte nicht oft.
Sie wartete nicht, bis Sebastian zurück war. Als ich einen Punkt machte, stand sie auf, und in der gleichen Bewegung schlüpfte sie in ihre Jacke. An der Tür schlug ich vor, dass wir am Abend zu dritt etwas unternehmen. Die Deutschen wollen immer etwas unternehmen, sagte sie.
»Du hast eine Katze, stimmt’s?«, sagte ich, um sie aufzuhalten. »Ich seh’s an den Haaren auf deiner Jacke. Einen Kater?«
»Kein Kater.«
»Ich mag Katzen, und Katzen mögen mich. Ich kann mich um sie kümmern, wenn du einmal wegmusst.«
»Warum sollte ich wegmüssen?«
»Oder ihr wollt gemeinsam wegfahren, du und Sebastian.«
»Womit wegfahren? Wir haben beide kein Auto.«
»Man kann auch mit dem Zug wegfahren oder mit dem Flugzeug. Und ich passe derweil auf die Katze auf. Wie heißt sie?«
»Wer?«
»Die Katze.«
»Pnin. Nach einem russischen Roman.«
»Sprichst du Russisch?«
»Nicht ein Wort. Ich muss jetzt gehen. Das soll jetzt nicht unhöflich sein.«
Ich hörte sie über die Stiege hinunterlaufen, wie ein Kind, mehrere Stufen auf einmal nehmend, über die letzten drei, vier hüpfend. Als liefe sie vor mir davon.
6
Sebastian brachte Bier und Wein und Zigaretten mit. Er räumte seine Sachen vom Küchentisch, den Laptop, seine Notizbücher, ein mittelgroßes und ein kleines; in das kleine schrieb er Wörter und Wendungen, die er irgendwo las, in das mittelgroße Einfälle, Ideen, Konstruktionen seiner Geschichten, Essays, Romane. Er sei froh, dass ich sein Arbeitszimmer belegte, hatte er mich beschwichtigt. Erstens habe er fast nichts zu tun, ein umfangreicher Roman sei erst vor kurzem erschienen, und etwas Neues sei ihm zum Glück oder Unglück bisher nicht eingefallen. Zweitens animiere ihn die Küche zur Zeit mehr zum Schreiben als sein Arbeitszimmer; jeder Ort der Welt animiere ihn mehr zum Schreiben als sein Arbeitszimmer; ich sei also genau zur rechten Zeit gekommen – um den Geist des alten Romans zu besänftigen und ihn endlich aus dem Haus zu komplimentieren. Damit Platz werde für eine neue Geschichte (dass er dabei an meine Geschichte dachte, damals schon, wäre eine Unterstellung; obwohl: Auf der Suche nach literarisch Verwertbarem halte ich Sebastian Lukasser für erbarmungslos, rücksichtslos, skrupellos).
Wir hatten uns vorgenommen, bis in die Nacht hinein Schach zu spielen. Ein langes Abendessen mit Schach. Dazu legte Sebastian Klaviermusik von einem französischen Komponisten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf, den Namen habe ich nicht behalten; dessen Ambition sei es gewesen, Hintergrundmusik für ein Kaufhaus zu schreiben, herausgekommen sei Kunst. Ob wir es wie früher bis zum Hahnenschrei schafften, über dem Brett zu sitzen, das würden nicht Kraft und Müdigkeit entscheiden, fürchtete ich, sondern die Langeweile, die ich hinter den Schweigeminuten vermutete, die unser Zusammensein nach den ersten Tagen bedrückten. Ohne dass wir es ausgesprochen hatten, war dieser lange Abend als Chance gedacht, uns aus unserer Befangenheit zu lösen. Ich wäre dieser
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