Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
harmonierte mit der leicht gesalzenen Butter, als wären Butter und Brot zur gleichen Zeit vom selben Meister erfunden worden. Sebastian sagte, es schmecke tiefgefroren und aufgetaut sogar besser als frisch aus dem Ofen. In den folgenden Wochen durfte ich mich überzeugen, dass er recht hatte. Manchmal sägte ich es in gefrorenem Zustand in Scheiben und legte die Scheiben auf die heiße Herdplatte. So entwickelte es einen malzigen Geschmack. Und die Küche roch wie bei einer fürsorglichen Familie. Zum gerösteten Brot aß ich einen Boskopapfel und trank ein Glas Weizenbier. Da wird, sobald man den Fernseher aufdreht, in jedem Kanal eine Kochshow geboten – Jamie Oliver, Alfons Schuhbeck, Tim Mälzer, Sarah Wiener –, komplizierte, ernährungswissenschaftlich abgesicherte Rezepte werden vorgestellt und analysiert und vor Publikum in Kunstwerke auf Tellern verwandelt, aber nie wird von einem Gericht aus geröstetem Roggenbrot, Boskop und Weizenbier berichtet; nie, dass der Mensch sich davon ernähren kann; nie, dass aus dieser blonden, oliv-, ocker- und umbrafarbenen Komposition eine Viertelstunde Glück entstehen kann.
Ich lernte Sebastians Freunde kennen; seine engsten, Robert und Hanna Lenobel, er Psychoanalytiker, sie Besitzerin einer jüdischen Buchhandlung in der Innenstadt. Robert Lenobel war jener Mann, den ich zusammen mit Sebastian in der Cantinetta La Norma gesehen hatte; dort träfen sie einander einmal in der Woche zum Mittagessen und palaverten hauptsächlich über Politik. Robert hatte eine kleine Ähnlichkeit mit Groucho Marx, vom Äußeren her und in seinem Wesen, fand ich. Nie hatte ich ihn anders gesehen als in schwarzem Anzug, weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Er liebte es, sein Gegenüber in eine gedankliche Möbiusschleife zu locken und sich dabei zu amüsieren. Sein Lieblingswitz war der: Zwei Juden streiten sich, wessen Rabbi frommer sei. Sagt der eine: Meiner betet sogar, wenn er nicht muss. Sagt der andere: Und meinem erscheint Gott im Traum. Antwortet der eine: Wenn dein Rabbi das behauptet, ist er ein Lügner. Darauf der andere: Gott würde doch niemals einem Lügner im Traum erscheinen. Mit diesem Witz teste er die Menschen, erklärte er mir, als Sebastian und ich zum ersten Mal bei Lenobels zu Hause zum Abendessen eingeladen waren. Wer nicht lache, habe den Witz nicht verstanden, denke aber immerhin darüber nach, in der Hoffnung, ihn eines Tages zu verstehen. Wer zu laut lache, habe den Witz ebenfalls nicht verstanden. Es war ein liebevoll vorbereiteter Abend, der Tisch aufwendig gedeckt und mit Efeu verziert. Es gab Lammkoteletts mit Wirsinggemüse und Salzkartoffeln, als Vorspeise einen Heringssalat, als Nachspeise einen Käsekuchen. Die Lenobels hatten eine Tochter und einen Sohn, beide um die zwanzig, beide wohnten bei ihren Eltern. Mit dem Sohn, Hanno, verstand ich mich sehr gut. Er studierte Technik und war deshalb ein wenig isoliert in der Familie (Hanna sagte über ihren Mann, er sei eine »technische Wildsau«). Er war beeindruckt, als ich ihm erzählte, dass ich gelernter Automechaniker sei (Sebastian war ebenfalls beeindruckt, als er das hörte). Er liebte Autos, besaß einen gebrauchten BMW aus präelektronischen Zeiten, an dem er herumbastelte, was die schwarzen Ränder an seinen Fingernägeln bewiesen. Robert und Hanna hatten – wie Sebastian – kein Auto. Klara, die Tochter, machte mit einem Jahr Verspätung ihre Matura, Verspätung deshalb, erklärte sie mir, noch ehe ihre Mutter das Wort zu Ende gesprochen hatte, weil sie ein Jahr in Amerika gewesen sei, in Los Angeles, wo sie ihr Englisch aufgebessert und Spanisch gelernt habe. Sie beeindruckte ich, indem ich den Rest des Abends mit ihr Spanisch sprach. Sie wollte nach der Matura zunächst in Israel Sprachen studieren, Hebräisch und Arabisch, und sich anschließend, sie wusste nicht in welcher Universitätsstadt, auf eine Laufbahn als Diplomatin vorbereiten. Hanna Lenobel hatte Interesse an Sebastian, dies war jedenfalls mein Eindruck. Wobei das Interesse nicht unbedingt erotischer Natur war. Einmal gewesen war? Er lag ihr am Herzen. Sie hatte einen kupfern gefärbten Lockenkopf; gleich als sie uns an der Tür begrüßte, fragte sie Sebastian, wie sie ihm gefalle, und warf dabei die Haare über die Ohren. Sie war die einzige an diesem Abend, die mir reserviert begegnete.
Ich lernte auch Evelyn Markard kennen. Eines Nachmittags, ich hatte mich oben eine Stunde hingelegt und wollte mir einen Espresso
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