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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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geglaubt, ich zweifle an seiner Menschenkenntnis, und wie ich ihn einschätzte, hielt er sich der höchsten fernöstlichen Empathie für fähig und hätte meinen Zweifel nicht als echt gelten lassen, sondern darin eine Mutwilligkeit gesehen, einen Ausdruck von Eifersucht womöglich, und im Pingpong hätte sich ein Missverständnis an das andere gereiht, schneller, als man es für möglich hält, bis wir zuletzt in Feindschaft geschieden wären. Ich wusste, ich durfte meine westlichen Grobschlächtigkeiten in diesem Land und gegenüber diesem an feiner Lebensart uns Europäern überlegenen Menschen nicht frei schießen lassen – wobei im konkreten Fall, dessen war ich mir natürlich bewusst, mit Grobschlächtigkeit die Wahrheit gemeint war. Nein, es stimmte nicht, dass mir die Diensthundführerin seit einem Jahr nicht mehr aus dem Sinn ging. Ich hatte sie vergessen. Sie war mir im Moment eingefallen. Aber da sie mir nun einmal eingefallen war, fiel mir auch ihr hübscher Hals ein, und fiel mir ein, dass sich ihre Oberlippe auf einer Seite etwas mehr spannte als auf der anderen, wenn sie lächelte, und dass sich auf ihrem Oberlid ein dünnes Fältchen bildete, wenn sie die Brauen hob, und der aufgenähte Hundekopf am Ärmel ihrer Uniform fiel mir auch wieder ein. Und plötzlich stand sie in meiner Einbildung so lebhaft vor mir, dass ich die Hand nach ihr ausstreckten hätte wollen.
    Hung sagte, er werde sehen, was sich machen lässt. »Je vais voir ce que nous pouvons faire. Я посмотрю, что мы можем сделать.« Er sei dazu da, meine Wünsche zu erfüllen.
    Am nächsten Tag fuhren wir nach dem Russischunterricht nicht nach Berlin zurück, sondern in die andere Richtung, nach Süden. Ein heftiger Wind blies und Schnee fiel, die Scheinwerfer des Mosquitsch waren vom Matsch so trüb, dass sie die nächtliche Fahrbahn nur wenig erleuchteten. Ich fragte Hung nicht, was er vorhabe, wohin wir unterwegs seien; mein Herz schlug, und ich versuchte, mich zu erinnern und zu vergleichen, ob es ähnlich aufgebracht war wie damals, als ich im Café Altwien in der Bäckerstraße auf Allegra gewartet hatte.
    Wir fuhren über holprige Landstraßen, vorbei an halogenhellen Industriekombinaten und durch nur von Küchenlampen markierte Dörfer, durch die Stadt Wittenberg fuhren wir, über Felder, durch Wälder; mitten in der kahlen Nacht hielten wir an einer Ampel, die nach einer Viertelstunde grün wurde, ohne dass etwas geschehen wäre, an der Elbe entlang fuhren wir, bis wir, es war schon bald Mitternacht, in der kleinen Ortschaft Pretzsch ankamen.
    Hung lenkte nicht in den Ort hinein, der still und dunkel vor uns lag, sondern bog auf einen Sandweg ab, der zu einem Gebäude führte, das im schwachen schwankenden Schein wie ein Schloss aussah. Dahinter erhob sich als eine himmelhohe schwarze Mauer ein Park. Hung schaltete das Licht ab und parkte den Wagen neben einer Hecke. Wir stiegen aus. Regen und Schnee fielen, böiger Wind schlug uns Nässe ins Gesicht, der Boden war glitschig. Hung holte aus dem Kofferraum Gummistiefel und Regencapes für uns beide und eine schwarze Ledertasche. Wir stapften durch den Wald, wobei er mich bat, dicht hinter ihm zu bleiben, er kenne den Weg. Er reichte mir seine freie Hand, und ich nahm sie, sie war trocken und warm und klein.
    Nach einer Weile sahen wir vor uns einen Lichtschein. Wir hörten Hunde bellen. Ich müsse mich nicht fürchten, sagte Hung, der Wind blase in unsere Richtung, außerdem seien die Hunde mit Gehorchen beschäftigt und zu gehorchen sei für sie eine größere Lust als zu jagen. Wir hörten eine Stimme, es war eine Frauenstimme. Vor uns tat sich eine Lichtung auf, sie war von Scheinwerfern umstellt, die auf einen runden Platz gerichtet waren. Dort hockten Schäferhunde im Schneeregen, ich zählte fünfzehn. Vor ihnen ging eine Frau in Uniform auf und ab. In der einen Hand hielt sie eine Gerte, die andere steckte in einer dick wattierten Hülle, die bis zum Oberarm reichte. Über die Mütze auf ihrem Kopf war ein durchsichtiges Nylon gezogen. Sie rief einen Befehl, den ich nicht verstehen konnte. Einer der Hunde erhob sich und rannte auf sie zu. Bevor er sie erreichte und zum Sprung auf ihren gepolsterten Unterarm ansetzte, rief sie wieder einen Befehl, sofort hielt er inne und legte sich vor sie in den Schlamm. Und der nächste Hund kam an die Reihe.
    Hung öffnete die Ledertasche und reichte mir ein Gerät, das er mir flüsternd als Nachtsichtgerät

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