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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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darauf, dass wir nicht zweimal in dieselbe Kneipe gingen. Aber wenn ich mich einmal gut unterhalten hatte, wollte ich es doch wieder, und längst nicht in jeder Kneipe unterhält man sich gut, und als ich mich einmal besonders gut unterhalten hatte, hörte ich nicht auf ihn und stellte mich am nächsten Abend an denselben Tresen. Da kam der, mit dem ich mich am Vorabend so besonders gut unterhalten hatte, auf mich zu, aber statt sich zu freuen, wie ich mich freute, klopfte er mit dem Knöchel gegen meine Brust, und wie er es tat, kam es mir unfreundlich vor.
    »Ich sag dir was«, sagte er, »es hat aber nichts zu bedeuten, ich erzähl nur weiter, was ich gehört habe von einem, der es auch gehört hat. Es war einmal in einer Kneipe, nicht in dieser, nein, nein, in einer drei Blocks weiter, da hatten die so einen Brauch. Weil da manchmal Spitzel aufgetaucht sind.«
    »Spitzel?«
    »Ja, ja, das kommt schon manchmal vor. Und weißt du, was man mit denen gemacht hat?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Die sind gefragt worden, ganz höflich. Weißt du, was die gefragt worden sind?«
    »Nein.«
    »Die sind gefragt worden: Bist du ein Spitzel?«
    »Und weiter!«
    »Was weiter? Bist du ein Spitzel?«
    »Wie? Ich? Ob ich ein Spitzel bin? Nein. Was für ein Spitzel sollte ich denn sein?«
    »Ich red ja nicht von dir, ich erzähl ja nur, was die in der Kneipe drei Blocks weiter so gefragt haben. Und genau das haben die gefragt. Da sind nämlich manchmal Sachen passiert.«
    »Was für Sachen sind da passiert?«
    Zuerst hatte er nur an meine Brust geklopft, nun wickelte der den Zeigefinger in mein Hemd, noch eine Drehung und noch eine Drehung, bis mir der Kragen eng wurde. »So Sachen eben sind da passiert. Dass eine Mütze geklaut wurde oder ein Handschuh oder eine Jacke oder dass ein Schlaumeier mit einem Lappen dahergekommen ist und einer Kundschaft, schwupp, den Lappen unter den Hintern gelegt hat.«
    »Das kommt vor? Komisch.«
    »Ja, komisch, nicht? Aber weißt du, was noch viel komischer ist? Und zwar noch viel, viel komischer?«
    »Nein, weiß ich nicht.« Ich bekam kaum noch Luft. Es war ein starker Mann. Ich schaute zu Hung hinüber, ob er vielleicht Anstalten machte, mir zu helfen. Der aber schaute überallhin, nur nicht zu mir.
    »Viel komischer ist, was die in der Kneipe drei Blocks von hier mit einem Spitzel machen. Was dort sozusagen Mode ist. Da kommst du nie drauf. Willst du’s wissen?«
    »Eigentlich nicht.« Ich versuchte, ihn von mir wegzudrücken. Aber er stemmte sich mit dem Rücken am Tresen ab und hatte mich nun ganz nah vor seinem Gesicht.
    »Natürlich willst du es wissen. Ich sag’s dir. So ein Spitzel wird vergläsert. Das machen die. Weißt nicht, was das heißt, gell?«
    »Nein.«
    »Dann will ich dir das auch noch erklären. Weil du’s bist. Also, hör zu! Da fällt in so einer Kneipe doch immer wieder altes Glas an, wo einen Sprung hat oder wo der Henkel ab ist und so. Das wirft man nicht weg, das spart man sich auf, das tut man in eine Kiste. Kann man irgendwann brauchen. Und wozu kann man diesen alten Scherbenhaufen brauchen? Zum Vergläsern eben. Du weißt ja, wie es zur Zeit von unserem ehemaligen Heiland war, da hat man eine Ehebrecherin gesteinigt, kannst du in der Bibel nachlesen, und heute wird ein Spitzel vergläsert. So haben sich die Zeiten geändert. Man führt ihn hinaus in den Hof, und dann wird nach ihm mit Scherben geworfen, bis er keinen Mucks mehr macht. Das nennt man in der Kneipe drei Blocks von hier vergläsern.«
    Auf dem Heimweg fragte ich Hung, warum er mir nicht geholfen habe. Wozu er denn einen Waffe bei sich trage? Es sei ja nichts passiert, sagte er, sah mich dabei aber nicht an.
     
    An den Wochenenden, wenn niemand im Ministerium war, jedenfalls niemand, den wir bemerkten, schossen wir im Keller auf einen Papierkorb, bis nur mehr Fetzen von ihm übrig waren. Hung brachte mir bei, wie man richtig schießt, nämlich, indem man die Waffe mit beiden Händen hält, die Ellbogen durchstreckt und in eine leichte Grätsche und eine leichte Kniebeuge geht. Er sagte, wenn man schieße, egal auf was, dürfe man nie denken, es lebe. Man dürfe niemals – »Jamais!« – auf etwas Lebendiges schießen. Wer auf etwas Lebendiges schieße, verliere seine Seele. Deshalb müsse man, bevor man schieße, das Ziel im Kopf zu etwas Leblosem umbauen. – »Tu ne tueras point!« – Man müsse den Krieg meiden, aber wenn man ihn führe, dann gegen einen Feind, der bereits tot sei. Nur dann wisse

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