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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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nicht, etwas hübsch aussehen zu lassen.
    Sie nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände, ähnlich, wie es Allegra oft getan hatte, indem sie die Finger abspreizte und die Handflächen so fest auf meine Wangen presste, dass sich meine Lippen zu einem Schnabel verformten. »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie in ihrem Berliner Dialekt, der zu ihrem Mund, zu ihrer Nase, ihrer Stirn, den Augen, den Ohren, zu allem an ihr passte, als wäre sie der Prototyp dieser Tonart. »Du bist der bestangezogene Mann, der mir je untergekommen ist, der bestangezogene und der bestaussehende und der bestriechende. Diese Goldpunkte auf deiner Stirn, schau doch, aber du kannst sie ja nicht sehen. Es würde sich schon rentieren, dich zu nehmen, bloß um mit dir anzugeben. Aber es existiert auch eine Schönheit außerhalb von dir.«
    »Ja«, sagte ich, »du.«
    Das hat ihr gefallen. Ich erzählte Hung davon und fragte ihn nach seiner Meinung. Er sagte, er beobachte an mir eine gewisse Vereinfachung, die er bedauere, umso mehr, als er befürchte, dass ich ebendiese anstrebe; wo mein Interesse an der Philosophie geblieben sei; im Übrigen nehme er an, es habe ihr tatsächlich gefallen.
    »Aber sicher sind Sie sich nicht.«
    »Nein, sicher bin ich mir nicht. Wenn Sie es wünschen, werde ich es herausbekommen.«
    »Ich wünsche es«, sagte ich.
    Es hatte ihr gefallen.
    Ich würde gern näher auf unseren unkomplizierten Sex eingehen, aber ich habe Hemmungen. Nicht moralischer Natur sind sie – ha, was für eine gelungene Kombination: Moral und Natur! Ich fürchte auch nicht, geschmacklos zu werden. Es ist nur, weil Sebastian einmal zu mir sagte, es gebe für einen Schriftsteller kein schwierigeres Thema als Sex. Liebe sei ein Klacks dagegen. Sex lasse sich wahrheitsgemäß nicht beschreiben.
     

9
     
    Nach Neujahr 1980 , an einem Sonntag, holten mich zwei Männer aus meiner Wohnung im MfS ab. Nguyen Quoc Hung und seine Brüder waren ausgerechnet zu dieser Stunde nicht bei mir. Die Männer stellten sich nicht vor, sie packten mich an den Oberarmen, einer rechts, einer links, zogen, halb hoben mich durch die Gänge des Ministeriums nach draußen, legten eine Hand auf meinen Kopf und schoben mich auf den Rücksitz eines Barkas ’, dessen Scheiben von außen mit Reklameschildern verklebt waren. Sie verrieten mir nicht, wohin sie mich brachten, und nicht, wer mit mir sprechen wolle oder ob überhaupt jemand mit mir sprechen wolle. Wenn ich fragte, sagten sie, ich solle das Maul halten. Ich schloss nicht aus, dass ich erschossen werden sollte. Oder gefoltert wie mein Großvater. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass ich auf allen vieren um einen Schreibtisch kriechen und dabei wie ein Hund bellen würde, aber was weiß man, wozu man fähig ist, wenn etwas sehr weh tut? Ich hoffte, man würde mir nicht in die Kniescheibe bohren. Solche Methoden der Wahrheitsfindung waren aber eher in Ungarn, Rumänien und Bulgarien üblich, wie ich von Major Hajós wusste.
    Als ich in dem Lieferwagen saß, vor mir die Hinterköpfe der deutschen Kollegen von Major Hajós, erinnerte ich mich an ihn und an unsere Zugfahrt nach Oostende. Ich war neun Jahre alt gewesen, als er, der in der ÁVH der »Marder« genannt worden war, mich in die Details seines ehemaligen Berufs eingeführt hatte – während wir an diesem herrlichen Julimorgen auf die Mosel schauten und auf die Weinberge, zwischen denen sie dahinfloss. Ich gebe zu, die Technik des Quälens hatte mich interessiert. Im Idealfall, so hatte Major Hajós referiert, sollte sich zwischen dem Verhörten und dem Verhörungsbeamten eine an der Sache interessierte Beziehung entwickeln; als ob sich zwei Historiker über zwei historische Gestalten unterhielten, so sollte es sein. Bei den Moskauer Prozessen gegen Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Radek und die anderen, das wisse er schon, sei immer wieder genau diese als Ideal gepriesene gelassene, quasi wissenschaftliche, diese geradezu geschäftsmäßige Atmosphäre gelobt worden, auch vom Ausland; aber das sei eben der Prozess gewesen, der Prozess, das Endprodukt. Die Verhöre des Generalstaatsanwalts Wyschinski seien ja auch nur sogenannte Verhöre gewesen; die eigentlichen Verhöre hätten nicht im ehrwürdigen Oktobersaal des Gewerkschaftshauses stattgefunden, sondern in den Kellern der Lubjanka. Vor Gericht habe sich ein Sinowjew durchaus gesittet benommen und in unaufgeregten Sätzen seine Schuld eingestanden, während sich derselbe über Wochen vorher bei den

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