Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
am Rand der Karpaten unweit von Lemberg im Feld neben dem Auto). Nachdem die Kinder zur Welt gekommen waren, zog es mich nirgendwo hin.
Clara und Elsbeth wussten voneinander. Claras Eltern hatte ich schon bei unserem zweiten Gespräch während eines sehr konventionellen Abends in deren Küche unmissverständlich dargelegt, dass ich mich nicht von Elsbeth trennen würde und dass dies akzeptiert werden müsse, sonst könne ich in die Heirat mit ihrer Tochter nicht einwilligen. Herr Bertuleit war sofort einverstanden. Seine Frau hingegen weinte. Clara selbst sah in meiner Treue zu Elsbeth kein Hindernis für eine Verbindung, sie hatte einen Freund, von dem sie sich ebenfalls nicht trennen wollte.
Der Freund, ein Ingenieur und Freizeitboxer mit stramm trainierten Muskeln, der bei der Planung und Errichtung des Kernkraftwerks Greifswald mitarbeitete, war allerdings nicht damit einverstanden. – Sebastians Anständigkeit gehorchend, möchte ich an ihn erinnern, wenigstens über die Strecke eines Absatzes. – Nach einem halben Jahr unserer Ehe trennte er sich von Clara. Um auch mir seinen Entschluss mitzuteilen, forderte er mich zu einem Spaziergang »durch sein Revier« auf. Hung riet mir davon ab. Ich wollte nicht feig und unedel erscheinen. Daraufhin verkabelte er mich mit Mikrophon und Sender und sicherte mir Geleitschutz zu. Seine Brüder würden, ohne dass wir es merkten, in der Nähe sein und sofort eingreifen, falls »der Enttäuschte« handgreiflich würde. Der Ingenieur hatte meinen Respekt, und er war mir sympathisch. Das sagte ich ihm auch. Er sagte, er habe in seiner Kindheit nichts mehr gehasst als die zwei Nachmittage pro Woche bei den Thälmann-Pionieren, und allein der Gedanke, Clara lasse sich den Schwanz von einem Thälmann zum Zweck der Produktion weiterer Thälmanns in die Muschi stecken, erfülle ihn mit einem solchen Ekel, dass er sich nichts mehr wünsche, als bis an sein Lebensende ununterbrochen kotzen zu dürfen. Nach wenigen Minuten war unser Spaziergang beendet.
Clara und ich hatten ein paar Mal miteinander geschlafen, mehr aus Ratlosigkeit denn aus Leidenschaft und gewiss nicht, um uns fortzupflanzen, obwohl nichts anderes – hier hatte der Ingenieur natürlich recht – der Plan unserer Verbindung war; der schließlich ja auch erfüllt wurde. Wir wussten im Grunde nicht, was wir miteinander anfangen sollten. In unserer Wohnung in der Marienburgerstraße (vier Blocks vom Ernst-Thälmann-Park entfernt) hatten wir jeder ein eigenes Schlafzimmer. Es kam vor, dass ich mich zu ihr schlich oder sie sich zu mir, in der Dunkelheit, ohne ein Wort. Wir sprachen nie darüber; wussten wir doch, diese Manöver galten weder ihr noch mir, sondern nur Wärme und Haut. Das Oxymoron einer Josefsehe führten wir, verlogen-wahr, wahr-verlogen. (Prof. Gregor Lenz hatte in Zusammenhang der Begriffsbildung »wissenschaftlicher Atheismus« von einem Oxymoron gesprochen; das Wort hatte mir auf Anhieb gefallen, und ich hatte es gleich nachgeschlagen.)
Clara litt unter dem Verlust ihres Freundes. Aber sie litt nicht lange, sie hatte immer wieder Affären. Sie tat sich leicht bei Männern. Obwohl sie nicht besonders anziehend aussah, fand ich. Sie hatte zu dünne Haare, Glupschaugen, zu sportliche Schultern, eine zu laute Stimme. Aber sie war immer heiter gelaunt und ohne Geheimnis, jedenfalls bei Tag. Es störte sie weiterhin nicht, dass ich eine Geliebte hatte – nein, Geliebte beschreibt meine Beziehung zu Elsbeth nicht: eine zweite Frau. In Wahrheit eine erste Frau.
Eine Geliebte hatte ich nämlich auch bald – Ruth Ernst. Sie erinnern sich: die Tochter der Büroleiterin des Politbüros der SED, die mit den »langen glatten Haaren wie eure Françoise Hardy«.
Ruth litt. Sie litt an allem, und vor allem litt sie an ihrer Mutter, von der sie bis in die Frisur hinein tyrannisiert wurde – viel lieber hätte sie das Haar kurz getragen. Clara verheimlichte ich, dass auch Elsbeth eine Tochter von mir hatte. Sie tolerierte die Beziehung, ein Kind hätte sie nicht toleriert; ihre Eltern wohl auch nicht. Ruth aber erzählte ich alles. Sie hätte auch gern ein Kind von mir gehabt. Sie versprach mir, sie würde keine Ansprüche stellen und niemandem verraten, wer der Vater sei. Ich hatte großes Vertrauen in sie und großes Verlangen nach ihr. Aber sie wurde nicht schwanger. Wir bemühten uns – »mit gebührendem Ernst«. Sie ging zum Arzt, der fand nichts. Ich ging ebenfalls zum Arzt, er fand nichts. Ihr Leid
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