Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
bitte!«
»Aber warum denn, Kleiner! Das ist interessant, dass man träumt, man träumt. In dem Traum im Traum habe ich von ihr geträumt. So ist es richtig. Nur das wollte ich sagen, nur das.«
»Mama, das interessiert niemanden«, sagte Emil.
»Mich interessiert es aber.«
»Mich auch«, sagte ich.
»Wirklich?«, rief sie. »Es ist ein komisches Gefühl, ein ziemlich komisches Gefühl. Deshalb denke ich, es war nicht mein eigener Traum, und bin erschrocken, als ich sie jetzt gesehen habe. Du verstehst das, gell?«
»Ja«, sagte ich.
»So etwas habe ich jedenfalls noch nie geträumt«, sagte Emil. »Das wüsste ich!«
»Ich schon«, sagte ich.
»Wirklich?« Sie legte den Arm um mich und drückte mich an sich. »Seither komm ich nicht von dem Gedanken herunter, dass sie auch von mir geträumt hat, und ich wüsste gern, was sie geträumt hat. Aber das kann man einen wohl nicht fragen, oder?«
»Ich könnte sie fragen«, sagte ich.
Emil leckte seinen Zeigefinger ab und fuhr damit an der Unterlippe seiner Mama entlang; der Handkuss hatte den Lippenstift verwischt. Er tat es sehr konzentriert. Sie blickte ihn ernst an. Er sie ebenso. Erst nickte er, dann sie.
Franzi und Emil fragten mich, ob ich auch zwei anderen Freunden, eigentlich Halbfreunden, einen runterholen könnte. Nur, wenn ich wolle, natürlich. Franzi schlug vor, von denen Geld zu verlangen. Drei Schilling für einmal. Ich sollte die Hälfte kriegen, die andere Hälfte würden sich er und Emil teilen. Ich war einverstanden. Schon nach einer Woche kamen so viele Buben in die alte Werkstadt, dass wir den Preis auf fünf Schilling erhöhten. Und alle fragten mich, ob sie es mir auch machen dürften. Immer sagte ich nein. Ich ekelte mich nicht, ich schämte mich nicht, es strengte mich nicht sonderlich an, ich fürchtete nicht um meinen Ruf, es war ja nicht meiner, sondern der eines gewissen Hans-Martin Sowieso – einen Familiennamen hatte ich nie genannt. Ich fand es sehr interessant, ein Ich ins Leben zu schicken, das es nicht gab und um das ich mich folglich nicht zu sorgen brauchte. Nicht einmal vor dessen Absterben fürchtete ich mich.
Wir verdienten nicht schlecht. An manchen Tagen hatten wir bis zu fünfzehn Kunden. An mich ließ ich niemanden heran. Emil und Franzi passten auf mich auf. Ich wollte auch mit keinem reden. Franzi sagte, ich sei ein Russe, niemand hier könne meinen Namen aussprechen. Wenn einer blöd kam, zeigte er ihm den Hunderternagel, den er an einer langen Schnur um den Hals mit sich herumtrug. Er sparte auf ein Messer. Zu Hause durchwühlte ich Opas Sachen und fand eine Zigarrenkiste. In die gab ich mein Geld. Die Münzen wickelte ich in eine Socke, damit mich ihr Klimpern nicht verrate. Auch ich sparte auf etwas, wusste nur nicht worauf.
Eines Abends kamen Emil und Franzi mit einem Erwachsenen. Der Mann sei vierzig, flüsterte Franzi mir zu, und nicht weniger Schilling habe er mit ihm ausgehandelt. »Für ein Mal. Sonst ist kein Unterschied.«
Beim nächsten Treffen brachte der Mann zwei andere Männer mit. Die wollten je achtzig Schilling zahlen, wenn ich ihren Penis in den Mund nähme. Ich tat es. Franzi lief nach draußen. Ich hörte, wie er sich übergab. Als wir drei wieder allein waren, sagte er, er sei raus aus dem Spiel, rannte davon und war weg. Ich bin ihm nie wieder begegnet. Emil sagte, es sei ihm recht, wenn der Franzi nicht mehr dabei sei, der halte das nicht durch, das mache ihn fertig, das könne man sich nicht vorstellen. Emil hatte nichts dagegen, wenn ich Franzis Anteil bekäme. Die Buben schickte Emil von nun an fort. »Hat weiter keinen Sinn mehr«, sagte er zu mir, »hat wirklich keinen Sinn mehr, oder?«
Die Männer hatten nur am späten Abend Zeit, sie brachten neue Freunde mit; ich wusste aber nicht, ob es wirklich Freunde waren, manche sagten Sie zueinander. An den Vormittagen passte ich auf Opa auf, kaufte Zwiebeln und Faschiertes ein und kochte Haschee mit Nudeln, dazu gab es einen Tomatensalat mit fein gehackten Zwiebeln, die Soße aus Essig, Öl, Zucker, Salz und Pfeffer. Die Nachmittage hatte ich frei. Ich trieb mich in der Stadt herum, schaute mir die Auslagen der Geschäfte an, malte mir aus, wie Mama und Papa in den schönen Kleidern und Anzügen aussähen, wenn wir erst viel Geld hätten. Und stellte mir vor, wie ich aussähe, wenn ich erst ein Mann wäre. Kleidergeschäfte mochte ich am liebsten. Kleider und Schaufensterpuppen animierten mich zum Träumen; manchmal war ich
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