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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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    Er sagte: »Wir könnten zu ihnen sagen, wir zeigen sie bei der Polizei an. Natürlich nur, wenn du das willst. Ich würde es schon wollen.«
    »Was tun sie, wenn wir das zu ihnen sagen?«, fragte ich.
    »Sie werden zahlen, damit wir sie nicht bei der Polizei anzeigen.«
    »Viel zahlen?«
    »Mehr als jetzt auf jeden Fall.«
    Er meinte, es sei auf die Dauer nicht gut für mich, was die Männer mit mir machten.
    Er sagte: »Wir könnten es erst einmal bei einem probieren.«
    »Bei wem?«
    »Bei dem mit dem schwarzen Anzug. Der hat auf jeden Fall am meisten Geld.«
    »Warum hat der am meisten Geld?«
    »Wenn einer immer im schwarzen Anzug ist.«
    »Was ist dann?«
    »Dann hat er immer ein wichtiges Geschäft.«
    Der mit dem Anzug war später dazugekommen; das heißt, er war nicht auf Empfehlung der anderen dazugekommen, sondern Emil hatte ihn mitgebracht.
    Emil verlangte tausend Schilling von ihm. Der Mann zitterte an den Händen bis zu den Ellbogen hinauf und versprach, er bringe morgen das Geld. Emil sagte, er solle sich nur nicht einbilden, er könne abhauen, man wisse genau, wo er wohne und wie er heiße, und wo er arbeite, wisse man auch. Er zählte an seinen Fingern auf, fing beim kleinen Finger an – ich hätte beim Daumen angefangen. Ich erfuhr, dass der Mann Ingenieur Herbert Kraft hieß und der Leiter einer Landwirtschaftlichen Genossenschaft war und dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte und dass er extra meinetwegen zweimal in der Woche von Niederösterreich nach Wien fuhr. Er habe nicht so viel Geld, sagte er mit schwacher Stimme und blickte nur mich an und sagte: »Ich will ehrlich sein.« Wie lange er brauche, um es aufzutreiben, fragte Emil. Er könne es überhaupt nicht auftreiben, sagte er und wieder, dass er ehrlich sein wolle. Wie viel er denn auftreiben könne. Höchstens fünfhundert. Sie einigten sich auf siebenhundert. Am nächsten Tag kam er und gab Emil das Geld, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und sagte, dass ich sein Darling sei. Wir sahen ihn nicht wieder.
    Bei den anderen Männern ging Emil ähnlich vor. Als da waren: der Besitzer einer Zemtentfabrik in Hernals, der Besitzer einer Blechwalzerei, der Chef einer Anwaltskanzlei in der Innenstadt, ein Ministerialbeamter, ein Priester, den Emil nur »Papst« nannte, der Leiter eines Elektrizitätswerks, ein pockennarbiger Parteifunktionär, der Besitzer von zwei Konditoreien in der Inneren Stadt und in Wieden, der Besitzer eines Damenbekleidungsgeschäfts am Ring und ein kleiner wuchtiger Kettenraucher, von dem Emil nur wusste, dass er bei seiner Mutter wohnte, die eine berühmte Frau sei, etwas beim Burgtheater oder bei der Oper. Einer zahlte glatt die tausend, die anderen handelten Emil herunter auf fünfhundert, sechshundert, siebenhundert, achthundert. Einer drohte, er werde uns eher umbringen, als auch nur zehn Groschen rauszurücken. Das koste ihm bei dem Dreck, der wir seien, kein Gewissen. Emil sagte, er müsse nichts zahlen.
    Bevor wir die Werkstatt zum letzten Mal verließen, schlugen wir alles kaputt, was kaputtzuschlagen war. Mitten in den Scherben teilten wir das Geld. Emil sagte, in diesem Fall, weil er die Idee gehabt habe, sei fifty-fifty gerecht. Ich war einverstanden. Alles in allem besaß ich nun 2874 Schilling. Mehr als Mama und Papa zusammen.
    »Bei mir fängt nächste Woche die Schule an«, sagte Emil, »dann habe ich keine Zeit mehr.«
    »Was heißt das?«, fragte ich.
    »Dass wir uns wahrscheinlich nicht mehr sehen.«
    »Und am Abend im Café bei deiner Mama auch nicht?«
    »Ich kann nicht so lange aufbleiben. Gehst du nicht in die Schule?«
    »Ich weiß nicht. Aber ich glaube nicht. Und am Nachmittag hast du auch keine Zeit?«
    »Eher auch nicht.«
    »Überhaupt nicht mehr?«
    »Eher nicht.«
    »Und wenn ich am Abend allein ins Café zu deiner Mama gehe?«
    »Eher nicht.«
    »Ich hätte gern für sie eine Schachtel Zigaretten gekauft.«
    »Sie hat eh genug.«
    »Und das mit dem Fenster, hast du das schon gemacht?«
    »Was denn?«
    »Mit dem Saugnapf und dem scharfen Nagel. Wir könnten es machen, wenn du willst.«
    »Das ist nichts«, sagte er, »das ist nichts«, und drehte sich um.
     
    Bis zum Oktober war ich die meiste Zeit allein. Ich spazierte durch die Stadt. Oder fuhr mit der Straßenbahn. Ich gab zu Hause meine Zeiten an und war ausnahmslos pünktlich. Das hatte zur Folge, dass sich keiner mehr einmischte. Kindern ging ich aus dem Weg. Ich konnte mich nicht entschließen, Geld auszugeben.

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