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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Nincs rózsás labirinth, a balzsamos illatok közt nem lengedez a Zefír … Weiter weiß ich nicht. Was für ein schönes Gedicht! Ich habe weitergewusst, aber das schwere Leben hat alles aus mir herausgeprügelt.«
    Er hielt meine Hände fest und küsste sie und nahm die Sonnenbrille ab, um mir seine Tränen zu zeigen (was mich nicht wunderte, hatte ich doch die Erfahrung gemacht, dass Küsse und Tränen zusammengehörten, jedenfalls, wenn ich der Geküsste war). Er würde mich gern in eine Konditorei einladen und mit mir ein bisschen plaudern, nur aus diesem Grund habe er vor der Schule auf mich gewartet, ich dürfe mir nichts anderes denken; er sei einsam; aber jetzt traue er sich nicht mehr, in eine Konditorei zu gehen, wo man ihn, wie bewiesen, mit einem Blick erkenne.
    »Aber«, sagte ich, »nicht einmal Ihre Schwester würde Sie erkennen!«
    Er sah mich an, schob mich von sich, ließ mich aber nicht los. »Abgesehen davon, dass ich keine Schwester habe.« Der Druck an meinen Oberarmen verstärkte sich.
    »Oder Ihr Bruder.«
    »Der ist in Ungarn.« Nun war seine Stimme scharf und gierig, wie ich sie von Auseinandersetzungen mit Moma in Erinnerung hatte. »Wieso soll mein Bruder hier sein? Ist er hier? Woher weißt du, dass mein Bruder hier ist? Ist er mir nachgeschickt worden?«
    Moma hatte keine Angst vor ihm gehabt, und darum hatte ich auch keine. »Kann ich jetzt gehen?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte er und bog wieder in den Jammerton ein, »natürlich. Geh! Geh jetzt! Warum gehst du nicht? Schau meine Hände! Wo sind sie? Sie sind in der Luft, weit weg von dir. Ich halte dich nicht. Halte ich dich etwa? Nein, ich halte dich nicht. Geh!«
    Mir fiel ein, dass er mir in Budapest ein hübsches buntes Windrädchen geschenkt und mich auf die Kühlerhaube seines schwarzen Pobeda gesetzt hatte und mit mir über die Báthory utca hinunter bis zum Parlament gefahren war. Das Windrädchen hat mir übrigens die Frau weggenommen, die wie er für die ÁVH arbeitete, dort aber gegen ihn und seine Leute, wie sie uns mehrfach versicherte. Das Ding sei ein Beweis und müsse deshalb eingezogen werden. Und noch etwas fiel mir ein: dass in unserer Familie nach dem Besuch der Frau und ihres Kollegen kolportiert worden war, Major György Hajós und Oberst Miklós Bakonyi sowie deren Untergebene Janko Kollár, Lajos Szánthó und Zsolt Dankó seien allesamt abgeholt, verhört, gefoltert, hingerichtet, erschossen, liquidiert und aufgehängt worden.
    »Ich dachte, Sie sind tot«, sagte ich.
    »Das denken einige von den Mäusefängern«, presste er durch die Zähne und kicherte dabei.
    »Wenn Sie nicht wollen, dass Sie jemand erkennt, ist es praktisch, wenn man denkt, Sie sind tot.«
    »Ja, du hast recht, es ist ein Vorteil für mich, wenn man glaubt, ich sei verreckt. O Unglück, ich danke dir, wenn du allein bist! Meistens bist du aber nicht allein.«
    Er legte seinen Arm um mich, aber ziemlich grob, und sagte, ich sei ein kluger Fickó, ich solle seine Nervosität entschuldigen, er habe eben viel durchgemacht. Und wollte mich nun doch in eine Konditorei einladen. »Falls du nichts anderes vorhast.«
    Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann mit verschränkten Armen, der beobachtete uns, und ich schätzte, er hätte gern eingegriffen. Major Hajós sprach viel zu laut; ich hatte schon einige Male bestätigt bekommen, dass lautes Ungarisch für einen Österreicher wie böses Schimpfen klingt. Ich hätte nur rufen müssen, hallo, der Mann tut mir etwas, und dieser Tag wäre gewesen wie alle meine österreichischen Tage bisher, nämlich: ohne Major Hajós. Er solle bitte nicht nervös werden, sagte ich stattdessen, zu Hause warte niemand auf mich. Meine Hausaufgaben hätte ich bereits in der Schule in mein Heft geschrieben, jetzt am Schulschluss sei’s eh nur eine Rechenaufgabe gewesen, meine Eltern seien bei der Arbeit und Moma wohne irgendwo anders. »Und Opa ist tot.«
    »Das tut mir leid«, sagte er und drückte mich wieder an sich, diesmal sanfter – da ging der Mann auf der anderen Straßenseite weiter. »Ich bin glücklich, dass ich dich getroffen habe. Heute ist mein Glückstag. Das wäre endlich einmal gerecht. Wer weiß, es ist erst kurz nach Mittag. Glückstag gilt bis zum Einschlafen. Wenn das Glück eine Sekunde vor dem Einschlafen kommt, ist der ganze Tag ein Glückstag. Wünschst du mir Glück? Ja, du wünschst mir Glück. Habe ich dich erschreckt?«
    »Nein.«
    »Nicht ein bisschen?«
    »M-m.«
    »Ich mag

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