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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Süßes, vor allem nach dem Mittagessen. Hast du schon zu Mittag gegessen? Was frag ich, Dummerle, du kommst ja direkt von der Schule. Gehen wir ein Stück! Ich lade dich ins berühmte Café Landtmann ein, das ist ein sicherer Ort, dort sitzen immer zwei oder drei österreichische Geheimpolizisten, weil das Parlament und das Rathaus in der Nähe sind und die österreichischen Politiker in Ruhe ihren großen Braunen trinken wollen oder ihren kleinen Schwarzen. Dort gibt es auch Wiener Schnitzel, wenn du das magst, ich bin nicht begeistert davon, und hinterher kannst du etwas Süßes essen. Und ich esse gleich etwas Süßes.«
    Wir gingen zur Haltestelle, er einen halben Schritt vor mir, schwer, o-beinig, armrudernd, schwitzend. Er ließ mich nicht aus den Augen. Während der Fahrt in der Stadtbahn und in der Straßenbahn sprachen wir nicht miteinander. Ich saß neben ihm auf der Bank, so wollte er es; die meiste Zeit lag seine kleine, plumpe Hand auf meiner Schulter. Wenn sich unsere Blicke begegneten, nickte er zustimmend. Wobei ich keine Ahnung hatte, welchem Umstand seine Zustimmung galt.
     
    Ich kam an diesem Tag nicht mehr nach Hause – an diesem Tag nicht und auch nicht an den folgenden achtundvierzig Tagen. Es wurde nach mir gefahndet; nach der ersten Woche wurde ein Bild von mir in DIN-A3-Größe gedruckt und in fünfhundert Exemplaren an Litfaßsäulen und Baumstämmen, in Lebensmittelgeschäften und an Haltestellen aufgehängt – Überschrift: »Andres Philip ist abgängig. Wer hat ihn gesehen? Er ist neuneinhalb Jahre alt und sehr freundlich. Beobachtungen bitte dem nächsten Polizeiposten melden!« Den Text hat Mama verfasst, zusammen mit Papa hat sie die Blätter ausgetragen. Nach drei Wochen besuchten zwei Beamte meine Eltern und meldeten, die Polizei habe die Hoffnung aufgegeben.
     

2
     
    Major Hajós hauste in einer ehemaligen Waschküche, die sich im Hinterhof eines Mietshauses befand und von allen Seiten mit Holunder und Brennnesseln zugewachsen war, so dass man sie, wenn man durch das Tor in den Hof trat, zunächst gar nicht sehen konnte. Davor wuchs eine Platane. Auf dem flachen Dach der Waschküche reckten sich Birkenstämmchen in den engen Himmel, die Dachrinnen waren vermoost und von vermodertem Laub verstopft, die Mauern bröckelten. Dicht unter dem Dach waren zwei winzige Fensterchen, die Scheiben eingeschlagen, die Höhlen voll Ruß, Scherben und Spinnweb. Im Inneren zog sich ein steinernes Waschbecken über die Länge einer Wand. Elektrisches Licht gab es hier nicht. Auch am Tag war es dunkel und klamm. In der Mitte des Raums ragte ein Rohr mit drei Wasserhähnen aus dem betonierten Boden, bei zweien war der Drehverschluss abmontiert. Neben dem Rohr war ein Gully, durch den das Wasser abfließen konnte. Ein Feldbett und ein Koffer standen an der Wand, das war alles.
    Ich sollte auf dem Boden schlafen. Major Hajós besaß eine Pistole, ein schwarzes Ding mit einem dünnen runden Lauf. Er sagte, sie sei geladen, und es habe einige Schlaumeier gegeben, die versucht hätten, durch das Loch in das Innere hineinzuschauen, und die hätten dort tatsächlich etwas gesehen, aber nur ganz kurz, wirklich ganz kurz nur, und dann hätten sie nie mehr etwas gesehen.
    »Ich denke, ein Schlaumeier von dieser Sorte bist du nicht, oder?«
    »Mich interessiert gar nicht, was in dem Loch drinnen ist«, sagte ich.
    »Es gibt nichts Uninteressanteres als das, was in diesem Loch drinnen ist«, sagte er.
    »Das habe ich mir gedacht.«
    »Du bist wirklich ein kluger Fickó.«
    Darum fragte ich auch nicht, ob vielleicht irgendwo ein zweites Feldbett wäre oder wenigstens eine zweite Zudecke. Ich legte mich auf den Boden, so weit wie möglich von ihm weg, rollte mich klein und schob mir meine Schultasche unter den Kopf. Er stöhnte und schmatzte und ächzte in der Nacht, und seine Zähne rieben aneinander, ich meinte, sie müssten ihm gleich aus dem Kiefer brechen. Er furzte und schrie auch manchmal, und ich wachte dauernd auf und schlief schließlich nicht mehr ein. Weil mir langweilig war, trank ich Wasser. Davon musste ich aufs Klo. Major Hajós hatte mir erklärt, für die kleine Notdurft sei das Gebüsch hinter der Waschküche hervorragend geeignet, bei der großen Notdurft müsse man sich von Mal zu Mal etwas überlegen. Ich wollte nach draußen zu den Büschen, aber die Tür war abgesperrt. Er schlief wohl auch nicht besser, als ich geschlafen hatte, denn allein das Geräusch der Klinke weckte ihn. Mit

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