Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
gefalle ihm auch am besten. Er legte sein Foto über das Foto von Herrn Helmut Rosenberger und schnitt es mit dem Messer auf die gleiche Größe zurecht. Vorsichtig bohrte er nun zwei Löcher in zwei Ecken. Das Foto von Herrn Rosenberger war im Pass zweimal abgestempelt worden, einmal mit einem schwarzen Farbstempel, einmal mit einem Druckstempel. Beide hinterließen über einer Ecke je einen Viertelkreis. Major Hajós schnitzte ein Streichholz zu einer feinen Spitze, nahm die Lupe und zeichnete mit Tusche und Streichholz den Teil des Farbstempels auf seinem Foto nach. Dann bog er eine Büroklammer auf und drückte mit ihrer Hilfe von hinten Punkte auf das Bild, die vorne exakt wie das Viertelrund des Druckstempels aussahen. Am Ende befestigte er das Foto mit den Nieten im Pass.
»Siehst du einen Fehler?«, fragte er und gab mir die Lupe.
»Ich sehe nichts.«
»Es ist immer ein Fehler dabei. Schau genau!«
»Ich sehe nichts.« Ich sah wirklich nichts.
»Immer ist ein Fehler dabei«, sagte er und lachte laut und warf die Fäuste in die Luft, als hätte er gerade einen Boxkampf gewonnen. »Nur bei mir nicht! Bei mir nicht! Weil ich ein Meister bin! Der beste, den Államvédelmi Hatóság je hervorgebracht hat!« – Schnell drückte er sich einen Finger an dem Mund. – »Verzeih mir, my son, verzeih mir! You are my son and my friend. Und jetzt kommst du dran. Freust du dich?«
Ich wusste aber nicht, was er meinte, und fragte, ob das heiße, dass ich jetzt nach Hause gehen dürfe.
»Nein«, herrschte er mich an, »das heißt es nicht.«
Auf der letzten Seite des Passes war ein behördlicher Vordruck. Hier stand: Kinder und dahinter ein Doppelpunkt.
»Jetzt folgt das eigentliche Kunststück«, sagte er. »Das bisher war nur eine Spielerei. Wie heißt du eigentlich, my son? Ich habe es vergessen. Nein, sag es mir nicht. Ich will es nicht wissen. Vermeide ein Wissen, das du zu nichts verwenden kannst. Jedes Wissen zieht dich in etwas hinein. Und man soll sich nur in etwas hineinziehen lassen, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich werde aus dir einen Robert basteln. Robert ist doch ein schöner Name, den gibt es in Amerika genauso. Wir nehmen das Ro von Ro senberger und das ber von Rosen ber ger und das t von Helmu t . Gibt zusammen Robert . Herbert wäre auch möglich. Aber Robert ist besser. Ist doch besser, oder?«
»Weiß nicht.«
»Wäre dir Herbert lieber?«
»Weiß nicht.«
»Ich weiß es. Einer weiß nicht, einer weiß. Ergo gilt, was einer weiß.«
Er legte das transparente Millimeterpapier auf den mit Schreibmaschine getippten Namen des Passbesitzers und zeichnete mit einem Bleistift die genannten Buchstaben auf einer Linie nach, wobei er besonders auf die Abstände achtete, schnitt ein Stück aus dem Schreibmaschinenfarbband und legte es auf der letzten Seite neben Kinder und den Doppelpunkt. Über das Farbband breitete er das Millimeterpapier mit meinem neuen Namen und drückte mit der Büroklammer geduldig Punkt an Punkt die Linien der Buchstaben nach.
»Wann bist du geboren? Das Jahr genügt.«
»1949.«
Er suchte im Pass die entsprechenden Ziffern, dazu ein ge und ein b und pauste mit der beschriebenen Methode mein neues Geburtsdatum hinter meinen neuen Namen. Am Ende konnte ich lesen:
Kinder: Robert, geb. 14. 9. 1949
»Das bist jetzt du, my friend, my son, I love you, my son«, sagte er. »Ich habe dich am 14. September zur Welt kommen lassen, weil das mit den Zahlen einfacher war.«
»Und was muss ich tun, Herr Hajós?«, fragte ich.
»Sprechen«, sagte er. »Aber ich bin jetzt nicht mehr Herr Hajós, ich bin jetzt Herr Rosenberger, Helmut Rosenberger, Beruf Maschinenschlosser, geboren am 23. 5. 1909 in Linz, röm.-kath., verheiratet. Für dich bin ich: Papa. Du bist mein Sohn Robert. Und du musst für mich sprechen. Ich kann nämlich nicht sprechen, weißt du.«
»Und warum können Sie nicht sprechen?«
»Weil ich taubstumm bin.«
Und damit auch das amtlich war, druckte er vorne unter seinen neuen Namen neben die Rubrik Besondere Kennzeichen: taubstumm . Das kleine a holte er sich von kath .
»Komm in meine Arme, mein Robert, mein Sohn, Robi, mein Robi! Sag Papa zu mir!«
Er lachte unbändig und umarmte mich und wirbelte mich herum, und weil ich nicht hätte behaupten können, dass keine Herzlichkeit dabei war, sagte ich es. Und – wie soll ich es erklären? – dass wir beide nun denselben Namen hatten, verwandelte die Stadt um mich herum, sogar den Himmel über ihr in
Weitere Kostenlose Bücher