Die Abenteuer Des Jonathan Gullible
du mir das Geld gibst«, sagte die Diebin und stopfte die
Papierkayns in einen Lederbeutel an ihrer Taille, »gehe ich
wenigstens weg und lasse dich in Ruhe. Aber bis zu deinem Tod wird
der Steuereinnehmer immer wiederkommen und dein Geld nehmen, das
Produkt deiner Vergangenheit, und er wird es nutzen, um jeden
Moment deiner Zukunft zu kontrollieren. Er wird letztlich in einem
Jahr mehr von deinem Einkommen wegwerfen, als alle freischaffenden
Räuber dir in deinem ganzen Leben wegnehmen können.«
Jonathan schaute sie verwirrt an: »Aber tut der Hohe Rat nicht
viel Gutes mit dem Geld, das er einnimmt?«
»Aber ja«, sagte sie trocken, »einige Leute werden reich. Aber
wenn das Steuerzahlen so gut ist, warum überzeugt dich dann der
Steuereinnehmer nicht von den Vorteilen und läßt dich freiwillig
dazu beitragen?«
Jonathan dachte über die Idee nach. »Vielleicht würde die
Überzeugung sehr viel Zeit und Mühe beanspruchen?«
»Genau«, sagte die Diebin mit einem Grinsen, »das ist auch mein
Problem. Beide sparen wir Zeit und Mühe mit einer Waffe.«
Mit einer Hand drehte sie Jonathan um und band seine Handgelenke
mit einem dünnen Strick zusammen. Dann warf sie ihn auf den Boden
und knebelte ihn mit seinem Taschentuch. »So. Ich befürchte, du
wirst nicht gleich zum Steuereinnehmer gehen können. Aber - da
kommt mir eine Idee.« Sie setzte sich neben Jonathan, der zappelte,
aber sich nicht bewegen konnte.
»Weißt du was« sagte die Diebin, »die Politik ist so eine Art
Reinigungsritual. Die meisten Leute glauben, daß es nicht richtig
ist, etwas zu verlangen, zu lügen, zu stehlen oder zu töten. Das
macht man einfach nicht - es sei denn, man findet einen Politiker,
der die schmutzige Arbeit tut. Ja, Politik erlaubt es allen, sogar
den besten unter uns, zu verlangen, zu lügen, zu stehlen und
manchmal sogar zu töten. Und sie können sich dabei immer noch gut
fühlen.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, als würde sie eine
Verschwörung vorbereiten. Sie hatte einen schlauen Plan: »Ich
glaube, ich brauche ein bißchen Reinigung, um meine Schuld
abzuwaschen - und das Risiko.« Sie runzelte die Stirn und
konzentrierte sich einen Augenblick. »Ich glaube, ich werde Lady
Tweed besuchen.« Sie sprang auf und ging los. Jonathan sah sie in
der Gasse verschwinden.
Die Gasse war ruhig. Während er mit den Stricken kämpfte,
grübelte Jonathan darüber, was die Räuberin gesagt hatte. Im Moment
war er hilflos, wenn ihn nicht jemand retten würde. ›Gib mir deine
Vergangenheit oder deine Zukunft!‹ Was meinte sie damit?
»Jetzt weiß ich’s«, dachte Jonathan, der immer noch ohne Erfolg
zappelte. »Mein Geld, mein Eigentum ist meine Vergangenheit -
zumindest das Produkt meines bisherigen Lebens. Wenn sie mein Geld
nimmt, muß ich die ganze Arbeit noch einmal tun, um es wieder zu
verdienen. Wenn sie mich getötet hätte, würde das kein Leben und
keine Zukunft bedeuten. Statt dessen hat sie mich festgebunden,
also meine Freiheit genommen, meine Gegenwart.«
Jonathan wurde wütend bei dem Gedanken an den jungen Polizisten,
den er am Tag zuvor getroffen hatte: »Wo ist der Kerl, wenn ich ihn
brauche?«
Er ärgerte sich, als er daran dachte, daß er zum Fest
zurückgehen mußte, um noch mal das selbe Geld zu verdienen. Hilflos
stieß er dabei mit seinen Beinen um sich. Und wenn er diesmal
genausoviel Geld verdienen würde, müßte er
alles
dem
Steuereinnehmer geben!
»Also sind Leben, Freiheit und Eigentum Teile von mir, mit einem
zeitlichen Unterschied - Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.
Diese Räuberin bedrohte den Teil, der mir am wertvollsten war, um
den Teil zu bekommen, den sie am leichtesten gebrauchen
konnte.«
Plötzlich schnitt einer der Stricke durch die Haut an seinem
Handgelenk. »Oh, tut das weh!« Jonathan hörte mit dem Ziehen auf
und entspannte sich einen Moment, um seine Lage zu überdenken. Er
dachte: »Ich habe nie gewußt, wie schön es ist, frei zu sein - bis
jetzt.«
Kapitel 19 Der Jahrmarkt der Regierungen
Jonathan hatte seine Befreiungsversuche fast aufgegeben, als er
ein tiefes Geräusch am Ende der Gasse hörte. Eine große braune Kuh
stapfte auf ihn zu und schnupperte an dem verstreuten Abfall in der
Gasse. »Mu-u-uh« brüllte sie. Die Glocke an ihrem Hals klingelte
leise bei jeder Bewegung.
Plötzlich erschien noch eine Kuh am Ende der Gasse, die von
einem alten Mann mit einem Stock angetrieben wurde: »Komm her du
blödes Biest«, schimpfte der Hirt.
Jonathan zappelte
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