Die Abenteuer des Röde Orm
sagte, er habe den ganzen Abend allein dagesessen, und niemand sei gekommen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Daß gerade Orm nicht nach ihm gesehen habe, als er so traurig gewesen sei, das habe ihn am allermeisten geschmerzt, denn er habe Orm vom ersten Augenblick an für seinen Freund gehalten; aber nun begreife er, daß er wie alle anderen Schonländer ein Lümmel sei; und wenn ein Welpe wie er sich schlecht betrage, so sei eine Portion Prügel das einzig Richtige.
Dabei stand er auf, um sich nach einem Stock umzusehen, und Orm war nun ganz wach und setzte sich auf. Als Toke das sah, gab er ihm einen Fußtritt, aber Orm hatte schon einen Feuerbrand ergriffen; den warf er Toke ins Gesicht. Toke wich mitten im Fußtritt, den er gab, aus und fiel auf den Rücken, aber er war schnell wieder auf den Beinen; nun aber war er weiß im Gesicht und völlig von Sinnen. Auch Orm kam geschwind auf die Füße. Es war heller Mondschein; aber Orm sah vor Wut rot, als er sich nun auf Toke stürzte, der einen Versuch machte, sein Schwert zu ziehen; Orm hatte nicht Zeit gehabt, sein Schwert an sich zu nehmen. Toke war groß und stark, breit über dem Nacken und hatte gewaltige Hände; Orm hatte seine volle Kraft noch nicht erreicht, war aber für die meisten stark genug. Es gelang ihm, einen Arm um Tokes Nacken zu schlingen und mit der anderen Hand sein Handgelenk zu packen, damit er nicht das Schwert ziehen könne; aber Toke hatte ihn mit gutem Griff an den Kleidern gepackt; er richtete sich mit einem Ruck auf und schleuderte Orm über die Schulter, so daß seine Beine in der Luft hingen. Orm jedoch ließ nicht völlig los, obschon er das Gefühl hatte, in Stücke zu zerbrechen. Er schwang sich rund, preßte ein Knie gegen Tokes Rücken und warf sich rücklings zu Boden, so daß Toke über ihn zu liegen kam. Dann spannte er alle Kräfte an und warf sich herum, so daß er Toke mit dem Gesicht gegen den Boden unter sich hatte. Nun waren viele erwacht, und Berse kam mit einem Strick angelaufen und sagte, das sei gerade, was man habe erwarten können, nachdem Toke so viel in sich hineingegossen habe. Obschon er sich heftig sträubte, wurde er nun an Händen und Füßen fest gebunden; aber er beruhigte sich bald, und nach einer Weile rief er Orm zu, daß er sich nun an den Schluß des Liedes erinnere. Er fing zu singen an, aber Berse begoß ihn mit Wasser, und darauf fiel er in Schlaf.
Als er am nächsten Morgen erwachte, klagte er darüber, daß er gebunden sei. Er erinnerte sich an nichts, und als man ihm erzählte, was geschehen war, fühlte er vor Orm Reue. Es sei ein Unglück, sagte er, daß er, wenn er getrunken habe, so leicht Ärgernis gebe, denn Bier mache ihn in Wahrheit zu einem anderen Menschen, und Wein vielleicht auch. Er wollte gern wissen, ob Orm ihm wegen des Geschehenen böse sei. Orm antwortete, böse sei er nicht und, wenn Toke dazu aufgelegt sei, habe er auch fürderhin nichts gegen eine kleine Schlägerei. Eines aber müsse er ihm versprechen, nämlich das Singen sein zu lassen, denn der Gesang einer Nachtschwalbe oder einer alten Krähe auf dem Dach eines Schuppens sei bei weitem schöner als seine Nachtlieder. Darüber lachte Toke und versprach, sich zu bessern.
Alle fanden, daß Orm, obschon er so jung war, sich bei dieser Gelegenheit über Erwarten gut benommen hatte; denn die meisten, die in Tokes Hände gerieten, wenn es mit ihm bis zu Tränen gekommen war, pflegten schwere Beulen davonzutragen. Orm stieg daher bedeutend in seiner eigenen und in der Achtung der andern. Nach diesem Auftritt fingen sie an, ihn »Orm Rothaar« zu nennen, nicht nur seines roten Haares wegen, sondern weil er sich als einer erwiesen hatte, der scharf gegen scharf setzen konnte und den man am besten nicht unnötig reizte. »Orm«, das ist »Schlange«.
Nach einigen Tagen wehte günstiger Wind, und die Schiffe gingen in See. Um gefährliche Strömungen zu vermeiden, hielten sie sich weit von der Küste und steuerten längs Ramiros Reich westwärts, bis sie die Landspitze umfahren hatten, die am weitesten gen Westen lag. Nun ruderten sie südwärts eine steile und zerklüftete Küste entlang und dann durch eine Unzahl von Inseln, die die Männer an die Küstengewässer von Blekinge erinnerten, bis sie eine Flußmündung erreichten, nach der Salaman lange ausgeschaut hatte. Sie steuerten mit der Flut in den Fluß hinein und ruderten so lange, bis sie von Stromschnellen aufgehalten wurden. Da gingen sie an Land und berieten sich, und
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