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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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»das sieht ja schlimm aus!«
    Er
fand einen alten Mann, der inmitten der Trümmer saß, den Nacken gebeugt, den
Kopf in die Hände gestützt. Ihn fragte er, was geschehen sei. Der Alte sagte
mit müder Stimme:
    »Der
böse Och hat uns heimgesucht heute nacht — und dies ist sein Werk .«
    »Der
böse Och ?« fragte Wanja. »Wer ist das ?«
    »Kennst
du den bösen Och nicht? Den Unhold, den grünen Teufel? Du bist nicht aus
unserer Gegend, wie? Sei froh, daß du ihn nicht kennst! Er verbringt seine Tage
draußen im Wald, der Och. Im Geäst einer uralten Föhre hängt er und schläft.
Doch einmal in jedem Jahr — und zwar immer um diese Zeit, wenn das Gras blüht —
wachsen ihm Flügel: Flügel für eine Nacht. Dann fliegt er im Land umher.
Heulend und fauchend fliegt er umher; und bevor er in seinen Wald zurückkehrt,
zerstört er ein Dorf. Irgendeines, wie er gerade Lust hat. Diesmal, du siehst
es, war unser Dorf an der Reihe. Mit seinem furchtbaren Atem hat er es
umgeblasen. Zehnmal gepustet — und fertig! So schnell geht das .«
    »Aber
das ist ja schrecklich !« rief Wanja aus.
    Ja,
das sei schrecklich, sagte der Alte. Aber das Schrecklichste an der Sache sei,
daß sie sich Jahr für Jahr wiederhole. Aus diesem Grund übernachte man hier in
der Gegend um diese Jahreszeit nicht in den Häusern. Auch diesmal hätten sie
alle wieder in Erdlöchern unter freiem Himmel geschlafen, seit vierzehn Tagen
schon. Das sei halbwegs sicher, da könne man wenigstens nicht von Balken und
Pfosten erschlagen werden. »Aber von heute an«, schloß er, »werden die Leute in
unseren Nachbardörfern wieder in ihren Häusern schlafen .«
    Nun
wußte der starke Wanja, wovor sich die Menschen gefürchtet hatten, denen er
gestern begegnet war.
    »Und
— wo sind die Leute aus deinem Dorf ?«
    Der
Alte deutete mit dem Daumen über die Schulter.
    »Sie
sind zu Gawrilo, dem Schmied, gelaufen. Gawrilo vermißt seinen Jungen seit
heute nacht, den Arkaschka. Der Schlingel hat mit zwei Freunden um eine halbe
Kopeke gewettet, daß er sich vor dem Och nicht fürchte. Als alles schlief, ist
er heimlich in die Schmiede zurückgeschlichen. Du weißt ja, wie solche Bengel
sind. Was sie sich in den Kopf setzen, tun sie. Dafür liegt Arkaschka nun unter
den Trümmern begraben — und Gott allein weiß, ob er noch am Leben ist .«
     
    W anja
eilte durch das zerstörte Dorf an den Platz, wo die Schmiede gestanden hatte;
den Überresten nach ein stattliches Haus. Die Männer und Burschen des Ortes
halfen dem Schmied bei der Suche nach seinem Jungen. Es war keine leichte
Arbeit, den Schutt und die Balken wegzuräumen. Wenn sie Glück hatten und sich
dazuhielten, konnten sie bis zum Abend fertig sein.
    Die
Weiber und Kinder standen ein wenig abseits, bleich und verstört. Die Schmiedin
saß schluchzend auf einer zerbrochenen Werkzeugkiste. Zwei ältere Frauen sprachen ihr Trost zu.
    »Es
kann ja noch alles zu einem guten Ende kommen, Gevatterin! Du wirst sehen, daß
sie Arkaschka gesund herausholen !«
    »Möglich,
daß er sich in den Keller verkrochen hat.«
    »Ja,
warum sollte er nicht im Keller stecken? Er ist ja nicht auf den Kopf gefallen,
der arme Junge !«
    Wanja
hielt sich nicht lang mit Zuschauen auf. Er legte Reisebündel und Rock ab,
spuckte in die Hände und machte sich an die Arbeit. Die dicksten Balken schob
er beiseite wie Bohnenstangen. Er wuchtete Bohlen und Bretter weg, daß es nur
so krachte.
    »He,
aufgepaßt !« rief er. »Seht zu, daß ihr keins auf den
Kopf kriegt, Leute !«
    Es
dauerte keine halbe Stunde, da hatte der starke Wanja die Falltür zum Keller
freigewühlt. Gawrilo, der Schmied, trat hinzu und öffnete. Seine Frau stand
daneben und biß auf den Schürzenzipfel. Die Männer und Burschen reckten die
Hälse, die Kinder drängten sich aneinander, die Weiber beteten. Knarrend
öffnete sich die Tür.
    In
der Öffnung erschien Arkaschka: ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren,
stupsnasig, weizenblond, das Gesicht voller Sommersprossen. Ein bißchen blaß
war er von dem ausgestandenen Schrecken, sonst schien ihm nichts zu fehlen.
    »Arkaschka,
mein Augenlicht! Lebst du noch, bist du heil? Laß dich anschauen, Söhnchen! Dem
Himmel sei Dank, daß du keinen Schaden genommen hast !«
    Die
Schmiedin umarmte den Jungen und küßte ihn ab. Auch Gawrilo drückte ihm einen
Kuß auf die Stirn.
    »Der
Herr sei gepriesen, daß er dich uns bewahrt hat !« sagte er. Dann nahm er Arkaschka beim Wickel und legte ihn übers Knie. »Und

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