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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
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breit, nur das
wogende grüne Gras bis zum fernen Himmelsrand. Die Tautropfen an den Halmen
blitzten und funkelten in der Morgensonne. Der Himmel war klar und durchsichtig
wie aus blauem Glas. Nur unten, gegen den Rand der Steppe zu, war er von
leichtem Dunst gesäumt.
    Wanja
schritt fröhlich aus. Im Dahinwandern fiel ihm ein Lied ein. Er summte es vor
sich hin, einmal und zweimal. Dann lachte er, schwenkte die Mütze und sang es zum
drittenmal, diesmal mit voller Stimme:
     
    »Sieben Jahr
    Lag der faule Wanja
    Wohl auf dem Backofen,
    Hej!
    Stark ist der faule
    Wanja geworden
    Wohl auf dem Backofen,
    Hej!«
     
    Das
Lied, so einfach es war, gefiel ihm. Er wiederholte es viele Male — »denn«,
fand er, »es eignet sich wie kein zweites zum Wandern, besonders für mich .«
    So
legte er zwölf oder dreizehn Werst zurück, ohne zu rasten,
immer im gleichen, rüstigen Schritt, bis er an eine Stelle kam, wo sich die
Straße gabelte.
    Wohin
sollte er sich nun wenden? Nach rechts hinüber, wo in der Steppe ein Kirchturm
und ein paar Hausdächer zu erkennen waren — oder nach links, auf die fernen
Hügel zu? Es war wohl das beste, wenn er es an den Knöpfen abzählte oder ein
Hölzchen warf...
    Und
das silberne Dreikopekenstück, das er auf der Brust trug? »Es wird dir den Weg
weisen«, hatte der Blinde damals zu ihm gesagt. »Den Weg in das Land, das
jenseits der Weißen Berge liegt.« Jetzt mit einemmal wurde Wanja klar, was
damit gemeint war.
    Er
knöpfte das Hemd auf und holte den Silberdreier heraus.
    »Zahl
links — Adler rechts«, beschloß er.
    Mit
der einen Hand warf er das Dreikopekenstück in die Luft, mit der anderen fing
er es wieder auf.

    Dann
öffnete er die Hand und sah nach: Die Münze lag mit der Zahl nach oben.
    »Gut«,
sagte Wanja, »dann also nach links !«
    Wenn
sich von nun an die Straße gabelte oder mit anderen Straßen kreuzte, verließ er
sich stets auf den Silberdreier. Wie immer das Los auch fiel, Zahl oder Adler,
er war es zufrieden und richtete sich danach. »Denn«, sagte er sich, »es gibt
viele Wege hinaus in die weite Welt — aber nur einen, der zu den Weißen Bergen
führt .«
     
    U nterwegs
bot sich Wanja manche Gelegenheit, seine Kraft zu erproben. Es verging kaum ein
Tag, an dem er sich nicht im Vorbeiwandern irgendwo nützlich machte.
    Da
war, um ein Beispiel zu nennen, ein Bauer mit seiner Mistfuhre von der Straße
abgekommen und in ein Schlammloch geraten. Nun steckte der Wagen bis an die
Hinterachse im Dreck fest. Der Bauer war wütend, er drosch mit der Peitsche auf
seine beiden Ochsen los. Die Ochsen stemmten sich brüllend ins Joch —
vergebens! Die Fuhre rührte sich keinen Fingerbreit von der Stelle: bis Wanja
hinzukam und sie von hinten anschob, ganz leicht nur, mit einer Hand. Da wären
die Ochsen fast auf die Nase gefallen, so plötzlich ruckte der Wagen an — und
heraus war er aus dem Schlamm!
    Ein
andermal traf der starke Wanja an einer Furt mit drei Reitern zusammen, das
waren Kosaken. Einer von ihnen führte am langen Zügel ein Packpferd mit,
beladen mit Waffen und Vorräten. Als sie nun aber die Furt durchqueren wollten,
zeigte es sich, daß das Packpferd um nichts auf der Welt ins Wasser zu bringen
war. Je mehr die Kosaken fluchten und wetterten, desto störrischer wurde es.
Schließlich nahm Wanja sich der Geschichte an. »Wer wird denn gleich fluchen«,
sagte er, »wenn es auch anders geht !« Er bückte sich
von der Seite her unter das widerspenstige Pferd, packte es bei den Fesseln und
lud es sich auf die Schultern, wie Hirten es manchmal mit kranken Schafen tun.

    Dann
trug er es samt den Waffen und Vorräten durch die Furt an das andere Ufer und
setzte es drüben ab, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.
    Und
wieder ein andermal führte sein Weg ihn an einem Fluß entlang, da holte er an
der nächsten Biegung ein Frachtschiff ein, das Getreide und Honig geladen
hatte. Zwölf Schiffsknechte zogen es mühsam den Fluß hinauf. Barfuß stapften
sie durch den Ufersand, hagere, sonnverbrannte Gesellen, den Rücken gekrümmt,
das Schlepptau über der Schulter. Sie sangen ein trauriges Lied dabei — ein
Lied, das dem starken Wanja ans Herz griff.
    »He,
Schiffsleute !« rief er. »Genug für heute! Ich löse
euch für den Rest des Tages ab, wenn ihr wollt !«
    »Du
allein?«
    »Ich
allein«, sagte Wanja.
    Die
Schiffsknechte glaubten, er wolle sich über sie lustig machen. Sie drohten ihm
mit den Fäusten, und einer von ihnen hob einen Stein

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