Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otfried Preußler
Vom Netzwerk:
Glück Gesetze
in unserem Land, nach denen auch er sich richten muß! Eines davon, du kennst es
so gut wie ich, kommt mir sehr gelegen...«
    Die
Zarentochter hüllte sich fester in ihren Umhang. Jenes Gesetz war ihr nur zu
gut bekannt. Danach stand es dem Zaren frei, allen Männern, die um die Hand
seiner Tochter warben, eine bestimmte Aufgabe zu stellen, und sei sie noch so
schwer. Sollte es aber in sieben Jahren und siebenmal sieben Wochen keinem der
Freier gelingen, die Aufgabe zu erfüllen, so zwang das Gesetz den Zaren dazu,
seine Tochter dem Vornehmsten unter allen Bewerbern zur Frau zu geben — und das
war in diesem Falle der Großfürst, daran gab es nichts zu deuteln.
    »Solltest
du zufällig jemanden kennen«, höhnte Dimitrij, »der es sich zutraut, die Rüstung
herbeizuschaffen, dann tätest du klug daran, ihm zu sagen, daß er sich sputen
soll !«
    Die
Zarentochter erwiderte nichts darauf, sie blickte an ihm vorbei.
    »Ich
habe genau gezählt«, fuhr der Großfürst fort. »Die sieben Jahre und siebenmal
sieben Wochen sind morgen um. Und nichts auf der Welt wird mich daran hindern,
dich übermorgen zur Frau zu nehmen !«
     
    E twa zur gleichen Zeit ritt der
starke Wanja durch einen Marktflecken, der lag keine anderthalb Tagesritte
entfernt von der Zarenstadt. Es erging ihm auch hier nicht anders als auf den
Dörfern, durch die er zuvor gekommen war: Die Rüstung des Zaren Iwan
Wassiljewitsch leuchtete in der Sonne, und alle Leute, die ihn erblickten,
waren geblendet von ihrer Pracht und Herrlichkeit. Sie schlugen die Augen
nieder und fürchteten sich vor ihm. Niemand wagte ein Wort zu sprechen, und
niemand rührte sich von der Stelle — so gebannt waren alle von seinem Anblick.
    Die
kleinen Mädchen am Wege vergaßen, die Puppen zu wiegen; die Gassenjungen hörten
auf, sich zu prügeln; den Wäscherinnen am Bach schwamm die Wäsche davon. Der
Schmied ließ den Hammer sinken, der Ochsentreiber die Knute. Den Mägden am
Brunnen verging das Schwatzen, den Metzgern und Viehhändlern auf dem Markt das
Feilschen. Den Hausfrauen kochte die Suppe über; die Zimmerleute dachten nicht
mehr an Axt und Richtscheit; dem Steinklopfer fiel der Fäustel aus der Hand und
dem Wegmacher die Schaufel.

    Erst
viel später, als Wanja längst an den Leuten vorübergeritten war, wagten sie
aufzublicken und starrten ihm nach. Dann riefen sie ihre Nachbarn herbei und
steckten die Köpfe zusammen.
    »Habt
ihr’s gesehen, Gevattersleute? Das war er! Das muß er gewesen sein — der Held
in der Rüstung des Zaren Iwan Wassiljewitsch, dem die Zarentochter versprochen
ist...«
    »Und
die Krone des Reiches überdies! Bald wird er unser Zar sein !«
    »Das,
Nachbarsleute, ist er so gut wie jetzt schon. Ach, daß wir es nicht bedacht
haben, als wir ihn kommen sahen! Wir hätten ihm zujubeln sollen und uns vor ihm
verneigen !«
    »Blumen
und Zweige hätten wir ihm auf den Weg streuen müssen — und unsere Röcke
ausbreiten auf dem Erdboden, daß er darüber hinwegreite !«
    So
standen die Leute beisammen und redeten miteinander. Jedem fiel etwas anderes
ein, was sie hätten tun müssen. Aber nur einer von ihnen tat wirklich etwas,
und das war der alte Pope vom Kirchlein zum Heiligen Geist.
    Der
ehrwürdige Vater Timofej rannte, so rasch es das lange Popengewand und sein
hohes Alter zuließen, in die Kirche und tat, was er in seinem ganzen Leben noch
nie getan, sondern immer dem Küster überlassen hatte:
    Er
packte mit beiden Händen das Glockenseil und läutete die große Kirchenglocke.
     
    G egen Abend kam Wanja zu einer
einsamen Herberge. Die Wirtsleute hatten ihn kommen sehen und waren mit dem
Gesinde zu seinem Empfang vor das Haus geeilt. Der Wirt war ein feister,
schmieriger Bursche mit einem Gesicht wie ein Pfannkuchen. »Willkommen, Euer Hochwohlgeboren,
willkommen!« rief er, die Mütze schwenkend, während sein Weib, eine dicke Alte,
ungelenk ihren Knicks machte. »Welche Ehre für unser Haus, daß Euer
Hochwohlgeboren geruhen, die Nacht unter diesem bescheidenen Dach zu
verbringen! Wir werden, versteht sich, Euer Hochwohlgeboren das beste Zimmer
geben — das allerbeste, versteht sich !«
    Wanja
versuchte den Wirtsleuten klarzumachen, daß er nicht bleiben könne, weil er
kein Geld habe.
    »Geld ?« rief der Wirt und verdrehte die Augen dabei wie ein Kalb am
Strick. »Wofür halten mich Euer Hochwohlgeboren? Dies Haus hier, mit allem, was
sich darin befindet, steht Euer Hochwohlgeboren allein um der Ehre willen

Weitere Kostenlose Bücher