Die Abenteuer des starken Wanja
Vater«, sagte sie. »Weißt du, was draußen
vorgeht? — Die Diener des Großfürsten schmücken die
Mauern
und Tore des Schlosses mit Blumen und Laubgewinden. Seit Tagen schleppen die
Bauern aus der Umgebung Körbe voll Eier und Fleisch herbei. Ganze Fuder von
frischgeschlachteten Gänsen und Enten bringt man ins Schloß. Von früh bis spät
sind der Küchenmeister und seine Gehilfen damit beschäftigt, sie auszunehmen
und an den Bratspieß zu stecken. Die Bäcker und ihre Gesellen kommen seit einer
Woche kaum noch zum Schlafen. Im Hof unten, neben dem Aufgang zur großen Halle,
stapeln sich Berge von Fässern: Bierfässer, Metfässer, Weinfässer. Die
Küchenmägde scheuern das Silbergeschirr und die goldenen Schüsseln, die
Hausmägde schrubben die Tische und Bänke mit weißem Sand. Und die Stadt erst!
Sie gleicht einem großen Jahrmarkt. Da werden Fahnen genäht und Pelzröcke,
goldgestickte Gewänder und Schleppen. Allein für die Leibtscherkessen, so hörte
ich, seien zweihundertfünfzig Paar Stiefel von rotem Saffianleder bestellt
worden. Kürschner und Goldschmiede, Sattler und Hutmacher, Bartscherer,
Wachszieher, Zinngießer und Pastetenbäcker: alle arbeiten wie die Ameisen.
Lange Züge von fremden Kaufleuten sind in die Stadt gekommen, Scharen von
Gauklern und Bettelleuten bevölkern die Straßen. Alles bereitet sich auf die
Hochzeit vor, in der Stadt und bei uns im Schloß — auf die Hochzeit der
Zarentochter !«
Traurig
hatte die schöne Wassilissa gesprochen, mit leiser Stimme. Nun trat sie vom
Fenster zurück und wandte sich nach dem Zaren um. Der Zar saß hoch aufgerichtet
im Lehnstuhl. Er hatte die Hände im Schoß gefaltet — und schlief. Sein Antlitz
war friedlich, Ruhe und Zuversicht sprachen aus seinen Zügen.
»Er
hat mir nicht zugehört«, dachte die Zarentochter.
Behutsam
schloß sie das Fenster zu, dann verließ sie auf Zehenspitzen den Raum.
V or dem Gemach des Zaren lehnte
in einer Mauernische der Großfürst Dimitrij, ein böser, finsterer Mann, von dem
sich die Leute zuraunten, daß er ein Herz von Stein in der Brust trage. Jede
Schlechtigkeit traute das Volk ihm zu, ja es lief das Gerücht um, daß er es
sei, der die Krankheit des Zaren verschuldet habe: durch Gift oder Hexerei oder
auf sonst eine niederträchtige Weise — wer würde das je ergründen?
Man
sprach über diese Dinge nur hinter vorgehaltener Hand. Der Großfürst nämlich
verstand keinen Spaß. Alles mußte nach seinem Kopf gehen, ohne Widerrede.
Überall hatte er seine Spitzel und Zuträger. Wer ihm nicht paßte, den ließ er
in Ketten legen und auf dem Marktplatz der Zarenstadt öffentlich auspeitschen.
Oder er schlug ihm mit seinem türkischen Krummschwert den Kopf ab. Auch das kam
vor.
»Gnade
uns Gott, wenn er jemals Zar wird !« sagten die Leute.
Noch
war er ja bloß der Stellvertreter des Zaren, mehr nicht, und übte die
Herrschaft in dessen Namen aus. Aber wie lang noch? Es war kein Geheimnis, daß
es für ihn nur ein Ziel gab: die Zarenkrone. Um die zu gewinnen, mußte er
Wassilissa heiraten, so verlangte es das Gesetz des Landes. Daß ihn die
Zarentochter aus tiefster Seele verabscheute, war ihm gleichgültig.
»Sie
muß tun, was der Alte sagt. Und der Alte kann sich nicht länger weigern, sie
mir zu geben — jetzt nicht mehr !«
Die
Tür zum Gemach des Zaren öffnete sich, Wassilissa trat auf den Gang heraus. Als
sie den Großfürsten sah, erschrak sie und wollte umkehren. Aber der Großfürst
stellte sich ihr in den Weg.
»Warum
fliehst du mich ?« fragte er. »Ziemt sich das unter
Brautleuten - oder hast du vergessen, daß übermorgen unsere Hochzeit ist? Ja,
freue dich: übermorgen ist unsere Hochzeit !«
Der
Großfürst lachte, die Zarentochter musterte ihn verächtlich.
»Und
wo ist die Rüstung des Zaren Iwan Wassiljewitsch ?« fragte sie. »Glaubt der Großfürst, mein Vater, der Zar, sei ein Krämer, der mit
sich handeln läßt ?«
»Pah !« rief Dimitrij. »Was liegt an der dummen Rüstung !«
»Dem
Großfürsten scheint entfallen zu sein, was der Zar bestimmt hat«, erwiderte
Wassilissa kühl. »Der — und nur der — soll die Zarentochter zur Frau bekommen
und mit der Zarenkrone gekrönt werden, der meinem Vater die Rüstung des Zaren
Iwan Wassiljewitsch bringt !«
»Vergiß
es !« sagte der Großfürst. »Der Alte kann mich nicht
ausstehen, das ist wahr. Wenn es nach ihm ginge, hätte ich keine Aussicht,
jemals dein Mann zu werden — und damit Zar. Aber es gibt ja zum
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