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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Und das, obwohl Alex den spannendsten Teil seiner Reise mit keiner Silbe erwähnte: Er sagte nichts davon, dass er im Land der Nebelmenschen sagenhaften Geschöpfen aus der Urzeit begegnet war. Auch Walimai erwähnte er nicht, den alten Zauberer, der ihm geholfen hatte, das Wasser des Lebens für seine Mutter zu finden, da hätten sie ja doch nur gedacht, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. All diese Erlebnisse hatte er ausführlich in seinem Tagebuch festgehalten, denn irgendwann wollte er ein Buch darüber schreiben. Er hatte sogar schon einen Titel: »Die Stadt der wilden Götter« sollte es heißen.
    Auch über Nadia Santos, oder Aguila, wie er sie nannte, redete er nie. Daheim wussten sie zwar, dass er eine Freundin am Amazonas hatte, aber nur seine Mutter ahnte, wie wichtig sie ihm war. Aguila bedeutete ihm mehr als alle seine anderen Freunde zusammen, Cecilia Burns eingeschlossen. Er dachte gar nicht daran, einer Meute naseweiser Nichtswisser von Nadia zu erzählen, sie hätten sich doch bloß über ihn lustig gemacht und ihm nicht geglaubt, dass sie mit Tieren reden konnte und die drei größten und kostbarsten Diamanten der Welt gefunden hatte. Und dass sie gelernt hatte, unsichtbar zu werden, konnte er erst recht nicht erzählen. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie die Nebelmenschen vom einen auf den anderen Moment verschwanden, indem sie sich wie Chamäleons dem Wald und seinem Blätterdickicht anpassten; es war unmöglich, sie zu erkennen, auch wenn man am helllichten Tag zwei Meter neben ihnen stand. Mit seinen Versuchen, ihnen das nachzumachen, war er kläglich gescheitert, dagegen hatte Nadia es im Handumdrehen raus, als wäre Unsichtbarwerden die einfachste Sache der Welt.
    Jaguar schrieb Aguila fast täglich einen Brief, manchmal nur ein paar Zeilen, dann wieder halbe Romane. Er sammelte die Seiten und schickte sie freitags in einem dicken Umschlag ab. Die Post brauchte über einen Monat bis nach Santa María de la Lluvia, einem Ort an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuela, aber das war eben nicht zu ändern. Wo Nadia wohnte, war die Welt zu Ende, das einzige Telefon gehörte der Militärpolizei, und von einem Internetzugang konnte man dort bloß träumen.
    Nadia beantwortete die Briefe mit wenigen krakeligen Sätzen, als würde ihr das Schreiben ungeheuer schwer fallen; aber Alex genügten ein paar Zeilen auf dem Papier, und schon hatte er das Gefühl, neben ihr zu sitzen. Mit jedem ihrer Briefe erreichte ein Hauch von Urwald Kalifornien, konnte Alex das Tosen der Stromschnellen und das Kreischen der Vögel und Affen hören. Manchmal hatte er ganz deutlich den feuchten Geruch des Waldes in der Nase, und seine Freundin schien ihm zum Greifen nahe. In ihrem ersten Brief hatte Nadia geschrieben, er solle »mit dem Herzen lesen«, und ihn daran erinnert, dass er gelernt hatte, »mit dem Herzen zu hören«. Sie selbst konnte sich auf diese Art mit den Tieren verständigen und schaffte es, in Windeseile eine fremde Sprache zu verstehen. Mit ein bisschen Übung gelang es Alex, und er merkte, dass er Papier und Tinte gar nicht brauchte, um sich mit ihr auszutauschen. Wenn er allein war und ganz still in sich hineinlauschte, konnte er Aguilas Stimme hören, aber es machte ihm trotzdem Spaß, ihr zu schreiben. Das war auch eine Art Tagebuch.
    ~
    Als sich nach sechs Stunden endlich die Türen des Flugzeugs in New York öffneten und die Passagiere sich aus den engen Sitzen schälten, schnappte sich Alex seinen Rucksack und drängelte, noch etwas steif und verschwitzt, auf den Ausgang zu, denn er konnte es kaum erwarten, seine Großmutter zu sehen. Aus seinem Gesicht war die Sonnenbräune verschwunden, seine Haare waren nachgewachsen und überdeckten die Narbe an seinem Kopf. Bei seinem letzten Besuch hatte ihn Kate nicht vom Flughafen abgeholt, und er war ziemlich aufgeschmissen gewesen, schließlich reiste erdamals zum ersten Mal allein. Wie ihm da die Muffe gegangen war! Er musste lachen, als er daran zurückdachte. Diesmal war die Abmachung mit seiner Großmutter unmissverständlich: Sie würde ihn am Ausgang erwarten.
    Kaum hatte er den Saal am Ende des langen Korridors erreicht, da sah er sie auch schon. Von weitem wirkte Kate Cold wie immer: das wirre Gestrüpp auf ihrem Kopf, die zerkratzte Brille mit dem Klebeband am Bügel, die Weste mit den tausend vollgestopften Taschen, die Pumphose, die knapp unterhalb der Knie endete, wo ihre hageren Beine mit der rindenähnlichen Haut zum

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