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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Motorbooten über bewohnte Flöße bis hin zu schlichten Einbäumen, aber später waren sie allein inmitten dieser kolossalen Landschaft. Hier bestand die Welt nur aus Wasser: Das Leben verlief im gemächlichen Dahintreiben auf dem Strom, im Rhythmus des Flusses, im Kommen und Gehen des Hochwassers, des Regens, der Überschwemmungen. Wasser, Wasser, wohin man blickte. Es gab Hunderte von Familien, die auf ihren Booten geboren waren und dort starben, ohne je eine Nacht auf dem Festland verbracht zu haben; andere lebten in Hütten, die auf Pfählen am Ufer standen. Von einem Ort zum anderen gelangte man nur über den Fluss, und Nachrichten wurden entweder persönlich überbracht oder über Funk gesendet und empfangen. Alex schien es unvorstellbar, dass man ohne Telefon leben konnte. Ein Radiosender in Manaus verbreitete pausenlos persönliche Mitteilungen, und dadurch erfuhren die Leute Neuigkeiten über Geschäfte oder Vorfälle in der Familie. Flussaufwärts war wenig Geld im Umlauf, die Wirtschaft beruhte auf Tausch, man gab Fisch für Zucker, tauschte Benzin gegen Hühner oder Hilfeleistungen gegen einen Kasten Bier.
    Zu beiden Seiten des Flusses erhob sich drohend der Urwald. Die Anordnung des Kapitäns war unmissverständlich: Auf gar keinen Fall durfte man sich vom Ufer entfernen, denn im Innern des Waldes verlor man die Orientierung. Es wurde von Fremden berichtet, die nur wenige Meter vom Fluss entfernt ihn nicht hatten finden können und entkräftet gestorben waren. Bei Tagesanbruch sahen sie rosafarbene Delfine in den Wellen springen und Vogelschwärme am Himmel vorbeiziehen. Auch Manatis bekamen sie zu Gesicht, große, im Wasser lebende Säugetiere, auf deren Weibchen die Legende von den Sirenen zurückgeht. Nachts tauchten rot glühende Punkte im Uferdickicht auf: Es waren die Augen der Kaimane, die ins Dunkel spähten. Ein Caboclo zeigte Alex, wie man die Größe des Tieres anhand des Augenabstands schätzte. War es ein kleines Exemplar, blendete der Caboclo es mit einer Taschenlampe, sprang ins Wasser und packte den Kaiman, indem er ihm mit einer Hand das Maul zudrückte und mit der anderen den Schwanz festhielt. War der Augenabstand beträchtlich, hätten ihn keine zehn Pferde in den Fluss gebracht.
    Die Zeit verging langsam, die Stunden zogen sich endlos, und doch war es Alex nicht langweilig. Er setzte sich an den Bug des Schiffes und beobachtete die Natur, las oder spielte auf der Flöte seines Großvaters. Der Urwald schien sich zu beleben und auf den Klang des Instruments zu antworten, während selbst die lärmende Schiffsbesatzung und die Passagiere nach und nach verstummten, um zu lauschen; das waren die einzigen Momente, in denen ihm Kate Cold ihre Aufmerksamkeit schenkte. Die Reporterin war wortkarg, verbrachte den Tag mit Lesen oder damit, sich in ihren Heften Notizen zu machen, im Allgemeinen beachtete sie ihn nicht oder behandelte ihn wie jedes andere Mitglied der Expedition. Es war unsinnig, sie mit Problemen zu behelligen, bei denen es ums nackte Überleben ging, etwa um das Essen, die Gesundheit oder Sicherheit. Sie musterte ihn bloß mit unverhohlener Verachtung und antwortete, es gebe zwei Arten von Problemen, solche, die sich von selbst lösten, und solche, die keine Lösung hätten, er solle ihr also nicht mit diesem Unfug die Zeit stehlen. Zum Glück war seine Hand schnell geheilt, denn Kate wäre imstande gewesen, die Angelegenheit durch eine Amputation aus der Welt zu schaffen. Sie war eine Frau der drastischen Maßnahmen. Alex hatte Karten und Bücher über das Amazonasgebiet von ihr bekommen, damit er sich selbst die Fragen beantwortete, die ihn interessierten. Machte er ihr gegenüber eine Bemerkung dazu, was er über die Indianer gelesen hatte, oder legte er ihr seine Theorien über die Bestie dar, sagte sie, ohne von dem Blatt, das sie vor sich hatte, aufzublicken: »Du solltest jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um den Mund zu halten, Alexander.«
    Was auch immer ihm auf dieser Reise begegnete, es unterschied sich so grundlegend von dem, was er von zu Hause her kannte, dass er sich fühlte wie auf Besuch in einer fremden Galaxis. Hier gab es keine der Annehmlichkeiten, die er daheim benutzt hatte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie etwa sein Bett, das Badezimmer, fließendes Wasser, Strom. Er entschloss sich, mit der Kamera seiner Großmutter Bilder zu machen, um Beweise für seine Erlebnisse nach Kalifornien mitbringen zu können. Nie und nimmer würden seine

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