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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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schwarzem Haar, bernsteinfarbener Haut und katzenhaft grünen Mandelaugen. Sie bewegte sich anmutig wie zum Rhythmus einer verborgenen Musik. Die Männer blickten ihr nach, aber sie schien nicht zu merken, welchen Eindruck ihre Schönheit machte.
    »Wir müssen auf alles gefasst sein«, sagte Leblanc und deutete auf seine Waffen. Zwar sprach er sie nicht direkt an, aber es waraugenfällig, dass er sich nur an Dr. Omayra Torres wandte. »Die Bestie zu finden ist das wenigste. Das Schlimmste sind die Indianer. Sie sind brutale Krieger, grausam und hinterhältig. Wie ich in meinem Buch erläutere, töten sie, um ihren Mut unter Beweis zu stellen, und je mehr Morde sie begehen, desto höher steigen sie in der Hierarchie ihres Stammes.«
    »Könnten Sie uns das etwas genauer erklären, Herr Professor?«, fragte Kate Cold, ohne den Spott in ihrer Stimme zu verhehlen.
    »Das ist ganz einfach, Frau … Wie, sagten Sie, war doch gleich Ihr Name?«
    »Kate Cold«, ließ sie ihn zum dritten oder vierten Mal wissen; offensichtlich konnte sich Professor Leblanc Frauennamen nur schwer merken.
    »Noch mal: Es ist ganz einfach. Es handelt sich um den Kampf auf Leben und Tod, der etwas Natürliches ist. In primitiven Gesellschaften haben die gewalttätigsten Männer das Sagen. Ich nehme an, Sie haben den Begriff Alpha-Männchen schon einmal gehört. Bei den Wölfen beispielsweise dominiert das aggressivste Männchen alle anderen und bekommt die besten Weibchen. Unter Menschen ist es genauso: Die gewalttätigsten Männer befehlen, sie haben die meisten Frauen und geben ihre Erbanlagen an die größte Zahl von Kindern weiter. Die anderen müssen mit dem zufrieden sein, was übrig bleibt, verstehen Sie? Es geht um das Überleben des Stärkeren«, erklärte Leblanc.
    »Wollen Sie damit sagen, dass Grausamkeit natürlich ist?«
    »Genau. Mitleid ist eine moderne Erfindung. Unsere Kultur beschützt die Schwachen, die Armen, die Kranken. Vom Standpunkt der Genetik aus gesehen, ist das ein schrecklicher Fehler. Daher steuert die Menschheit auf ihren Untergang zu.«
    »Was würden Sie denn mit den Schwachen der Gesellschaft tun, Herr Professor?«, fragte Kate Cold.
    »Was die Natur auch tut: es zulassen, dass sie aussterben. In dieser Hinsicht sind die Indianer klüger als wir«, sagte Leblanc.
    Dr. Omayra Torres, die das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte, konnte mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten:
    »Bei allem Respekt, Herr Professor, die Indianer scheinen mir nicht so gewalttätig, wie sie von Ihnen beschrieben werden, ganzim Gegenteil hat die kriegerische Handlung bei ihnen eher die Bedeutung einer Zeremonie: Sie ist ein Ritus, um den eigenen Mut auf die Probe zu stellen. Die Indianer bemalen ihre Körper, bereiten ihre Waffen vor, singen, tanzen und dringen in das Schabono, in das Dorf, eines anderen Stammes ein. Sie bedrohen sich gegenseitig und teilen auch ein paar Hiebe mit Holzprügeln aus, aber dabei gibt es selten mehr als einen oder zwei Tote. In unserer Kultur ist es genau umgekehrt: Von Zeremonie keine Spur, nur Massenmord …«
    »Ich werde Ihnen ein Exemplar meines Buches schenken, meine Beste«, fiel der Professor ihr ins Wort. »Jeder ernst zu nehmende Wissenschaftler wird Ihnen bestätigen, dass Ludovic Leblanc eine Autorität auf diesem Gebiet ist.«
    »Ich bin sicher weniger gelehrt als Sie, Herr Professor.« Dr. Torres lächelte milde. »Ich bin ja bloß eine Landärztin, die seit über zehn Jahren in dieser Gegend arbeitet.«
    »Glauben Sie mir, meine verehrteste Frau Doktor, diese Indianer sind der Beweis, dass der Mann nichts weiter ist als ein mordender Affe.«
    »Und die Frau?«, fragte Kate Cold dazwischen.
    »Ich bedauere, Ihnen sagen zu müssen, dass die Frauen in primitiven Gesellschaften keinerlei Rolle spielen. Sie sind bloß Kriegsbeute.«
    Dr. Omayra Torres und Kate Cold warfen sich einen Blick zu und grinsten belustigt.
    ~
    Der Beginn der Reise auf dem Río Negro entpuppte sich vor allem als Geduldsspiel. Sie kamen im Schneckentempo voran, und kaum war die Sonne untergegangen, mussten sie anhalten, um nicht von den Baumstämmen gerammt zu werden, die in der Strömung flussabwärts trieben. Es war drückend heiß, aber in den Abendstunden kühlte es so weit ab, dass man zum Schlafen eine Decke brauchte. Wo der Fluss klar und ruhig aussah, nutzten sie manchmal die Gelegenheit zum Fischen oder schwammen ein bisschen. An den beiden ersten Tagen begegneten sie denunterschiedlichsten Kähnen, von

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