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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Regierungsgeschäfte an Stelle seines Vaters. Falls der König nicht innerhalb der nächsten Tage wiederauftauchte, würden der General und einige hohe Lamas nach Dil Bahadur suchen müssen, damit er sich der Aufgabe stellte, auf die er seit über zwölf Jahren vorbereitet wurde. Aber noch hofften alle, dass es dazu nicht kommen würde.
    In der Stadt überschlugen sich die Gerüchte, mal hieß es, der König habe sich zum Meditieren in ein Kloster in den Bergen zurückgezogen, dann, er sei mit dieser ausländischen Besucherin Judit Kinski nach Europa gereist, oder er halte sich in Indien beim Dalai Lama auf, und unablässig schossen neue Spekulationen ins Kraut. Aber nichts von alldem passte zu diesem Monarchen, der mit beiden Beinen fest auf der Erde stand und die Ausgeglichenheit in Person war. Außerdem konnte er unmöglich unerkannt das Land verlassen, und der nächste Flug ging ja auch erst am Freitag. Der König würde niemals seine Regierungsverantwortung vernachlässigen, schon gar nicht jetzt, wo das Land wegen der Entführung der Mädchen in einer tiefen Krise steckte. Für General Myar Kunglung und mit ihm für alle anderen Einwohner des Verbotenen Reichs stand schließlich fest: Es musste ihm etwas Schwerwiegendes zugestoßen sein.
    Der General brach die Suche nach den Mädchen ab und kehrte in die Hauptstadt zurück. Kate wich ihm nicht von der Seite und erfuhr so einige vertrauliche Einzelheiten aus erster Hand. Am Eingang zum Palast traf sie Wandgi, der neben einer Säule kauerte und auf Nachricht von seiner Tochter Pema hoffte. Weinend klammerte er sich an sie. Er war kaum wiederzuerkennen, in diesen anderthalb Tagen wirkte er um zwanzig Jahre gealtert. Kate waren solche Gefühlsausbrüche höchst unangenehm, deshalb befreite sie sich schleunigst aus Wandgis Umarmung und bot ihm stattdessen etwas von ihrem Wodkaeistee an. Aus Höflichkeit nahm er einen Schluck aus dem Flachmann, brachte das ekelhafte Gebräu dann aber nicht runter und spuckte es aus. Kate schob ihn hinter dem General her, damit er für sie übersetzte. Myar Kunglung sprach ein Englisch wie Tarzan.
    Sie erfuhren, dass der König den gestrigen Nachmittag und ein Teil der Nacht im Saal des Großen Buddha verbracht hatte und nur Tschewang, der Leopard, bei ihm gewesen war. Ein einziges Mal hatte er die Meditation unterbrochen, war kurz in den Gartengegangen und hatte eine Tasse Jasmintee getrunken, die ihm ein Mönch gebracht hatte. Dieser Mönch berichtete dem General, der König bete immer viele Stunden lang, ehe er den Goldenen Drachen befrage. Gegen Mitternacht hatte er ihm noch einmal eine Tasse Tee bringen wollen. Da waren bereits die meisten der Kerzen niedergebrannt, und der König war nicht mehr da gewesen.
    »Und Sie haben nicht nach ihm gesucht?« Wandgi übersetzte Kates Frage.
    »Ich glaubte, er sei beim Goldenen Drachen.«
    »Und wo war der Leopard?«
    »In einer Ecke des Saales an der Kette. Seine Majestät kann ihn nicht mitnehmen, wenn er zum Goldenen Drachen geht. Manchmal lässt er ihn dann hier im Saal des Großen Buddha, oder er übergibt ihn den Wachen der Letzten Tür.«
    »Wo ist das?«, wollte Kate wissen, bekam als Antwort jedoch nur einen fassungslosen Blick von dem Mönch und einen wütenden vom General: Offensichtlich war diese Information nicht frei verfügbar, aber so leicht gab Kate sich nicht geschlagen.
    Der General erklärte ihr schließlich, dass nur sehr wenige Leute wussten, wo sich die Letzte Tür befand. Den Wachen, die für ihren Schutz zuständig waren, wurden die Augen verbunden, und dann führte sie eine der betagten Nonnen, die im Dienst des Palastes standen und in das Geheimnis eingeweiht waren, bis zu der Tür. Sie war die Grenze zum heiligen Bezirk des Palastes, und einzig der König durfte sie passieren. Überschritt man die Schwelle, sah man sich Hindernissen und todbringenden Fallen gegenüber, die die Heilige Kammer schützten. Wer nicht genau wusste, wo er die Füße hinsetzen musste, auf den wartete ein entsetzlicher Tod.
    »Könnten wir nicht mit Judit Kinski sprechen, sie ist doch noch zu Gast im Palast?«, bat Kate.
    Sie gingen sie suchen, fanden sie aber nicht. Ihr Bett sah benutzt aus, ihre Kleider und sonstigen Habseligkeiten waren noch im Zimmer, nur die Lederhandtasche, die sie immer bei sich trug, fehlte. Kate schoss durch den Kopf, der König könne sich mit der Tulpenexpertin zu einem Stelldichein verkrümelt haben, aber dieser Gedanke war zu abwegig. Das passte doch weder

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