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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wichtig ist, was er tut. Und diese beiden schossen ja noch nicht einmal ein Berghuhn, um es zu essen, also konnten sie auch keinen Menschen umbringen, noch nicht einmal aus Notwehr. Für einen Tao-Shu-Kämpfer war ein Feind ein Meister, von dem man etwas über sich selbst lernen konnte und der einem beibrachte, Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu halten. Sie hatten noch nie jemanden angreifen müssen.
    »Wie kann ich auf einen Menschen schießen und ein reines Herz haben, Meister?«
    »Es ist nur gestattet, wenn man keine andere Wahl hat und sicher ist, dass es einer gerechten Sache dient, Dil Bahadur.«
    »Mir scheint, in diesem Fall kann man sich sicher sein, Meister.«
    »Möge allem Lebendigen Glück beschieden sein und niemandem ein Leid widerfahren«, beteten der Meister und sein Schüler gemeinsam und hofften von ganzem Herzen, dass sie keinen ihrer mörderischen Tao-Shu-Griffe würden anwenden müssen.
    Alex war sowieso ein friedfertiger Mensch. Mit seinen sechzehn Jahren hatte er sich noch nie richtig mit jemandem geprügelt, und ehrlich gestanden wusste er auch gar nicht, wie das ging. Außerdem besaß er nichts, womit er hätte angreifen oder sich verteidigen können, abgesehen von einem Schweizer Messer, das ihm seine Großmutter überlassen hatte, nachdem er sein eigenes dem Zauberer Walimai geschenkt hatte. Das war zwar ein nützliches Werkzeug, aber als Waffe war es lachhaft.
    Nadia sah unglücklich aus. Sie verstand nichts von Waffen, aber sie hatte die Skorpionkrieger und ihre Dolchsammlung doch mit eigenen Augen gesehen. Diese Kerle wuchsen mit der Gewalt auf, Verbrechen und Kampf waren ihr Leben, sie lernten früh, wie man tötet. Was konnten zwei friedliebende buddhistische Mönche und ein junger amerikanischer Tourist schon gegen diese Bande von berufsmäßigen Killern ausrichten? Ihr war flau, als sie den dreien Lebewohl sagte und ihnen vom Höhleneingang aus nachblickte. Jaguar ging vorneweg, auf den Schultern Borobá, der sich an seine Ohren klammerte, dann kam der Prinz und am Schluss dieser Koloss von einem Lama.
    »Wenn ich euch bloß noch mal lebend wiedersehe«, sagte Nadia leise, als die drei hinter den Felsen vor der kleinen Höhle verschwanden.
    Sobald sie den Abhang erreicht hatten, an dem die Höhle der Blauen Krieger lag, kamen sie schneller voran. Sie rannten fast. Obwohl die Sonne schien, war es kalt. Heute war es so klar, dass man bis ins Tal sehen konnte, und der Blick von hier oben war überwältigend. Eingerahmt von Schneebergen, lagen unten üppigbewaldete Hänge und grüne Reisterrassen. Hier und da verstreut, eingebettet in die Berglandschaft, konnte man die weißen Stupas der Klöster erkennen, die winzigen Dörfer mit ihren Häusern aus Lehm, Holz, Steinen und Stroh, mit ihren Pagodendächern und ihren sich die Berghänge hinaufschlängelnden Wegen. Hier schien die Zeit stillzustehen, und nur der Wechsel von Sommer und Winter bestimmte im immer gleichen Rhythmus das Leben der Menschen.
    Mit einem Fernglas hätten sie die Gebetsfahnen erkennen können, die man überall gehisst hatte, die großen Buddhabilder, mit denen die Felsen bemalt waren, die Mönche, die in langen Reihen zu den Tempeln zogen, die Ochsen vor den Pflügen, die mit Türkisen und Silberketten geschmückten Frauen auf dem Weg zum Markt, die kleinen Kinder mit ihren Bällen aus alten Lappen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass dieses kleine, schöne Land, das Jahrhunderte des Friedens erlebt hatte, nun von einer Bande aus Mördern in Angst und Schrecken versetzt wurde.
    Getrieben von der Sorge um die Gefangenen, denen man womöglich schon den Skorpion in die Stirn gebrannt oder Schlimmeres angetan hatte, hetzten Alex und Dil Bahadur den Hang hinab. Sie hatten keine Ahnung, wie sie die Mädchen dort herausholen sollten, fest stand nur, dass es gefährlich werden würde. Tensing ließ sich von solchen Gedanken nicht aus der Ruhe bringen. Die Gefangenen zu befreien war nur der erste Teil der Aufgabe; was danach kam, bereitete ihm weit größere Sorgen: Sie mussten den König retten.
    ~
    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in Tunkhala unterdessen die Nachricht, der König sei verschwunden. Man hatte ihn am Vormittag im Fernsehsender erwartet, aber er war nicht erschienen. Keiner wusste, wo er sich aufhielt. Etwas Derartiges war in diesem Land noch nie vorgekommen. Der älteste Sohn des Königs, der noch vor zwei Tagen die Schaukämpfe beim Fest gewonnen hatte, übernahm vorübergehend die

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